Der Traum
requirieren ... Und wir hatten Wappenschilder: blaues Feld mit goldgemustertem Balken, begleitet von drei ebensolchen Lilienblüten, zwei im Schildhaupt, eine im Schildfuß ... Ach, war das damals schön, aber es ist schon lange her!« Er schwieg, klopfte mit dem Fingernagel auf den Stickrahmen, um die Stäubchen davon zu entfernen. Dann fuhr er fort: »In Beaumont berichtet man von den Hautecœurs noch eine Sage, die meine Mutter mir oft erzählte, als ich klein war ... Eine furchtbare Pest verheerte die Stadt, die Hälfte der Einwohner war schon umgekommen, als Johann V., jener, der die Festung wiederaufgebaut hat, gewahr wurde, daß Gott ihm die Kraft sandte, die Geißel zu bekämpfen. Da begab er sich barfuß zu den Kranken, kniete nieder, küßte sie auf den Mund; und sobald seine Lippen sie berührt hatten und dabei sprachen: ›So Gott will, so will auch ich‹, waren die Kranken geheilt. Deshalb sind diese Worte der Wahlspruch der Hautecœurs geblieben, die alle seit jener Zeit die Pest heilen ... Ach! Stolze Männer! Ein fürstliches Geschlecht! Er, der Bischof, nannte sich Johann XII., bevor er in den Orden eintrat, und dem Vornamen seines Sohnes muß gleichfalls eine Zahl folgen, wie dem eines Fürsten.«
Jedes seiner Worte wiegte Angélique in ihrer Träumerei und ließ sie sie weiterträumen. Sie wiederholte mit derselben singenden Stimme:
»Oh! Ich wünschte, ich, ich wünschte ...« Während sie die Bretsche hielt, ohne den Faden zu berühren, sprengte sie das Gold, indem sie es wechselnd über die Form herüber und hinüber führte und es bei jeder Wendung mit einem Seidenstich befestigte. So erblühte nach und nach die große goldene Lilie. »Oh! Ich wünschte, ich wünschte, ich könnte einen Prinzen heiraten ... Einen Prinzen, den ich nie gesehen habe, der eines Abends, wenn der Tag sich neigt, kommt, mich bei der Hand nimmt und mich in einen Palast führt ... Und ich wünschte, er wäre sehr schön, sehr reich, oh, der Schönste, der Reichste, den die Erde jemals getragen hat! Pferde, die ich unter meinen Fenstern wiehern höre, Edelsteine, deren Flut auf meine Knie herabrieselt, Gold, ein Regen, eine Sündflut von Gold, das aus meinen beiden Händen fällt, sobald ich sie auf tue ... Und dann wünschte ich noch, mein Prinz müßte mich bis zum Wahnsinn lieben, und auch ich müßte ihn wie wahnsinnig lieben. Wir müßten sehr jung sein, sehr rein und sehr edel, immerdar, immerdar!«
Hubert hatte von seinem Stickrahmen abgelassen und war lächelnd näher getreten, während Hubertine dem jungen Mädchen freundschaftlich mit dem Finger drohte.
»Ach, du Eitle! Ach, du Unersättliche! Bist du denn unverbesserlich? Du hast ja eine blühende Phantasie mit deinem Wunsch, Königin zu sein. Dieser Traum da ist zwar weniger garstig als das Stehlen von Zucker oder unverschämte Antworten, aber im Grunde steckt der Teufel dahinter, Leidenschaft und Hoffart sind es, die da sprechen.«
Fröhlich sah Angélique sie an.
»Mutter, Mutter, was sagt Ihr da? – Ist es denn Sünde, zu lieben, was schön und reich ist? Ich liebe es, weil es schön ist, weil es reich ist und weil es mich, so scheint mir, da im Herzen wärmt ... Ihr wißt recht wohl, daß ich nicht eigennützig bin. Das Geld, ach! Ihr würdet sehen, was ich mit dem Gelde machte, wenn ich viel davon hätte. Es würde nur so über die Stadt regnen, es würde zu den Armen fließen. Ein wahrer Segen, keine Armut mehr! Zuerst würde ich Euch reich machen, Euch und Vater, ich würde Euch mit Kleidern und Gewändern aus Brokat sehen wollen wie eine vornehme Dame und einen vornehmen Herrn aus der alten Zeit.«
Hubertine zuckte die Achseln.
»Kleine Närrin! – Aber, mein Kind, du bist arm, du, du wirst einmal nicht einen einzigen Sou Mitgift bekommen. Wie kannst du von einem Prinzen träumen? Du würdest also einen Mann heiraten, der reicher ist als du?«
»Und ob ich ihn heiraten würde!« Und auf ihrem Gesicht malte sich höchstes Erstaunen. »Ach ja, ich würde ihn heiraten! – Da er ja dann Geld hätte, wozu sollte ich dann welches haben? Ich würde ihm alles verdanken, ich würde ihn nur um so mehr lieben.«
Diese siegreiche Schlußfolgerung entzückte Hubert. Er zog gern mit dem Kind auf Wolkenflügeln davon. Er rief:
»Sie hat recht.«
Doch seine Frau warf ihm einen unzufriedenen Blick zu. Sie wurde streng.
»Meine Tochter, du wirst schon noch sehen, du wirst das Leben noch kennenlernen.«
»Das Leben, das kenne ich.«
»Wo hättest du
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