Der Traum
Tisch und Stühle im Stile Ludwigs XIII., ein ungeheures Bett aus der Zeit Ludwigs XIV.86, einen sehr schönen Schrank im Stile Ludwigs XV.87 Nur der Ofen aus weißer Fayence und der Toilettentisch, ein mit Wachstuch überzogenes Tischchen, stachen von diesen ehrwürdigen Altertümlichkeiten ab. Ausgeschlagen mit alter, mit Heidesträußen bemalter rosa Leinwand, die so verblaßt war, daß das ausgeblichene Rosa kaum noch geahnt werden konnte, bewahrte vor allem das ungeheure Bett die Erhabenheit seines hohen Alters.
Doch Angélique gefiel vor allem der Balkon. Eine der beiden Fenstertüren, die linke, war einfach zugenagelt worden; und der Balkon, der sich einst über die ganze Breite des Stockwerks hinzog, war nur noch vor dem rechten Fenster vorhanden. Da die Balken darunter noch gut waren, hatte man wieder einen Holzfußboden gelegt und an Stelle der alten, verrotteten Brüstung ein eisernes Geländer darauf angebracht. Das war ein bezaubernder Winkel, eine Art Nische, unter der Spitze des Giebels, den Schindelbretter abschlossen, die zu Beginn dieses Jahrhunderts erneuert worden waren. Wenn man sich vorbeugte, sah man die ganze dem Garten zugewandte Hausfront, sehr baufällig mit ihrem Unterbau aus behauenen kleinen Steinen, ihrem mit Klinkern geschmückten Fachwerk, ihren breiten, heute verkleinerten Fensteröffnungen. Unten über die Küchentür ragte ein zinkgedecktes Schutzdach. Und oben wurden die letzten Balken, die ebenso wie der Dachstuhl des Giebels einen Meter vorstanden, von großen Tragsteinen gestützt, deren Fuß auf dem Bandgesims des Erdgeschosses ruhte. Dadurch war der Balkon ganz in ein Gebälkgewucher gerückt, tief in einen Wald mit altem Holzbestand, den Levkojen und Moose übergrünten.
Seitdem Angélique das Zimmer bewohnte, hatte sie dort viele Stunden, auf das Geländer gestützt, verbracht und hinausgeschaut. Da lag zunächst tief unter ihr der Garten, den große Buchssträucher mit ihrem ewigen Grün verdüsterten; in einem Winkel an der Kirche umstand eine Gruppe dürftiger Fliederbüsche eine alte Bank aus Granit, während sich im anderen Winkel, halb verborgen von einem Efeugerank, das wie mit einem Mantel die ganze hintere Mauer bedeckte, eine kleine Tür befand, die auf den Clos Marie, ein weitläufiges, unbebaut gelassenes Gelände, hinausführte. Dieser ClosMarie war der ehemalige Obstgarten der Mönche. Die Chevrotte, ein munterer Bach, in dem die Hausfrauen der benachbarten Häuser ihre Wäsche waschen durften, floß durch diesen Garten; Familien armer Leute verkrochen sich in den Ruinen einer allen eingestürzten Mühle; und niemand sonst wohnte in dieser Gegend, die allein durch die Ruelle des Guerdaches zwischen den hohen Mauern des Bischofspalastes und denen des Hôtel Voincourt mit der Rue Magloire verbunden war. Im Sommer versperrten die hundertjährigen Ulmen der beiden Parks mit ihren belaubten Wipfeln den schmalen Ausblick, der im Süden von der riesigen Chorhaube der Kirche begrenzt wurde. So von allen Seiten eingeschlossen, schlief der ClosMarie im Frieden seiner Verlassenheit, von Unkraut überwuchert, mit Pappeln und Weiden bestanden, die der Wind hier gesät hatte. Zwischen den Kieseln plätscherte kristallhell und melodisch der ChevrotteBach.
Niemals wurde Angélique dieses verlorenen Winkels überdrüssig. Und doch hatte sie hier sieben Jahre lang jeden Morgen nur die Aussicht wiedergefunden, die sie schon am Tage zuvor betrachtet. Die Bäume des Hôtel Voincourt, dessen Vorderseite auf die Grand˜Rue hinausging, waren so dicht belaubt, daß sie nur im Winter die Tochter der Gräfin, Claire, ein Kind in ihrem Alter, erkennen konnte. Im Garten des Bischofspalastes war eine noch unergründlichere Dichte des Geästs, vergeblich hatte sie versucht, des Bischofs Soutane zu erkennen; und das alte, mit Läden versehene Gittertor, das nach dem ClosMarie hin aufging, war wohl schon seit langem verschlossen, denn sie erinnerte sich nicht, es ein einziges Mal offen gesehen zu haben, nicht einmal, um einen Gärtner hindurchzulassen. Außer den Hausfrauen, die ihre Wäsche wuschen, sah sie dort immer nur dieselben armen Kinder zerlumpt im Grase liegen.
Der Frühling war in diesem Jahr ungewöhnlich mild. Sie war sechzehn Jahre alt, und bis zu diesem Tag hatten ihre Augen allein Gefallen daran gefunden, den ClosMarie unter der Aprilsonne wieder grünen zu sehen. Das Treiben der zarten Blätter, die Durchsichtigkeit der warmen Abende, der ganze duftende Lenz der Erde
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