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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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es kennenlernen sollen? – Du bist zu jung, du kennst das Böse nicht. Geh, das Böse ist da, und es ist allmächtig.«
    »Das Böse, das Böse ...« Angélique sprach dieses Wort langsam aus, um seinen Sinn zu durchdringen. Und in ihren reinen Augen stand die gleiche unschuldige Verwunderung. Das Böse, sie kannte es wohl, die »Legenda aurea« hatte es ihr zur Genüge gezeigt. War nicht der Teufel das Böse? Und hatte sie nicht gesehen, wie der Teufel immer wieder erstand, aber immer wieder besiegt wurde? Bei jeder Schlacht blieb er, krumm und lahm geschlagen, jämmerlich am Boden liegen. »Das Böse, ach, Mutter! Wenn Ihr wüßtet, wie wenig es mich kümmert! – Man braucht sich nur zu überwinden, und man lebt glücklich.«
    Hubertine machte eine Gebärde kummervoller Besorgnis.
    »Du wirst es mich noch bereuen lassen, daß ich dich in diesem Hause erzogen habe, nur mit uns, abseits von allen, so unwissend über das Leben ... Von was für einem Paradies träumst du denn? Wie stellst du dir die Welt vor?«
    Das Gesicht des jungen Mädchens wurde von einer unermeßlichen Hoffnung erhellt, während es, vornübergeneigt, mit der gleichen stetigen Bewegung die Bretsche führte.
    »Ihr haltet mich wohl für recht dumm, Mutter? – Die Welt ist voller braver Leute. Wenn man rechtschaffen ist und arbeitet, wird man dafür immer belohnt ... Oh, ich weiß, es gibt auch einige schlechte Menschen. Aber zählen die denn? Man verkehrt nicht mit ihnen, sie werden schnell bestraft ... Und dann, seht Ihr, die Welt, die wirkt von weitem wie ein großer Garten auf mich, ja, wie ein unermeßlicher Park voller Blumen und Sonne. Es ist so schön zu leben, das Leben ist so süß, daß es gar nicht schlecht sein kann.« Gleichsam berauscht vom Glanz der Seiden und des Goldes, ereiferte sie sich. »Das Glück, das ist etwas sehr Einfaches. Wir, wir sind glücklich. Und warum? Weil wir uns lieben. Seht Ihr, schwerer ist das nicht ... Auch wenn derjenige kommt, den ich erwarte, dann werdet Ihr es ja erleben. Wir werden uns gleich erkennen. Ich habe ihn nie gesehen, doch ich weiß, wie er sein muß. Er wird eintreten und sagen: ›Ich komme, dich zu holen.‹ Dann werde ich sagen: ›Ich habe dich erwartet, ich folge dir.‹ Ich werde ihm folgen, und es wird sein für immerdar. Wir werden in einen Palast ziehen und in einem goldenen, mit Diamanten besetzten Bett schlafen. Oh! Das ist doch sehr einfach!«
    »Du bist wohl toll, schweig!« unterbrach Hubertine streng. Und da sie sah, daß Angélique erregt war und nahe daran, sich noch weiter in ihrem Traum zu versteigen, fügte sie hinzu: »Sei still! Du machst mir angst ... Unglückliche, wenn wir dich mit irgendeinem armen Teufel verheiraten, wirst du dir die Knochen brechen bei dem Fall, den du aus den Wolken tun wirst. Für uns arme Leute liegt das Glück nur in der Demut und im Gehorsam.«
    Angélique lächelte weiter mit ruhigem Eigensinn.
    »Ich warte auf ihn, und er wird kommen.«
    »Aber sie hat recht!« rief Hubert, der ebenfalls erregt und von ihrem Fieber mitgerissen war. »Weshalb schiltst du sie? – Sie ist schön genug, daß ein König sie von uns erbitten könnte. Alles ist schon dagewesen.«
    Traurig sah Hubertine mit ihren schönen klugen Augen zu ihm auf.
    »Ermutige sie doch nicht, Schlechtes zu tun. Besser als irgend jemand weißt du, wie teuer es einen zu stehen kommt, wenn man seinem Herzen nachgibt.«
    Er wurde sehr blaß, große Tränen traten ihm in die Augen.
    Sogleich tat Hubertine leid, was sie gesagt hatte, sie war aufgestanden, um seine Hände zu fassen.
    Doch er machte sich los, sagte immer wieder stammelnd:
    »Nein, nein, es war nicht recht von mir ... Hörst du, Angélique, du mußt auf deine Mutter hören. Wir sind zwei Narren, sie allein ist vernünftig ... Es war nicht recht von mir, es war nicht recht von mir ...«
    Da er zu aufgeregt war, um sich hinzusetzen, ließ er den Chorrock, den er soeben gespannt hatte, liegen und machte sich daran, eine Kirchenfahne zu leimen, die fertig war und noch auf dem Stickrahmen lag. Nachdem er den Topf mit flandrischem Leim aus der Truhe genommen hatte, bestrich er mit dem Pinsel die Rückseite des Stoffes, was der Stickerei Festigkeit verlieh. Seine Lippen zitterten noch immer ein wenig, er sagte nichts mehr.
    Wenn auch Angélique gehorsam gleichfalls schwieg, sprach sie doch ganz im geheimen weiter, verstieg sich höher, immer höher ins jenseitige Reich der Sehnsucht; und alles an ihr sagte es, ihr Mund, der vor

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