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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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seine Lanze dergestalt, daß er den Drachen verwundete und ihn zu Boden warf.« Oben schließlich führte die Tochter des Königs das besiegte Ungeheuer in die Stadt: »Georg sagte: ›Wirf ihm deinen Gürtel um den Hals und fürchte nichts, schönes Mädchen!‹ Und als sie dies getan, folgte ihr der Drachen wie ein sehr sanftmütiger Hund.« Als das Fenster ausgeführt wurde, sollte es im Rundbogen mit einem Schmuckmotiv gekrönt werden. Doch später, als die Kapelle den Hautecœurs gehörte, ersetzten diese das Motiv durch ihre Wappen. Und so flammten in den dunklen Nächten über der Legende strahlende Wappen aus neuerer Zeit. Das Wappenschild war in Felder geteilt, das erste und das vierte Feld zeigte das Wappen von Jerusalem und das zweite und dritte das von Hautecœur: das Wappen von Jerusalem in Silber mit dem goldenen Krückenkreuz, verziert mit vier ebenfalls goldenen kleinen Kreuzen; das von Hautecœur in Blau mit der goldenen Festung, mit einem kleinen Wappenschild in Schwarz mit silbernem Herzen an der Herzstelle, das Ganze begleitet von drei goldenen Lilienblüten, zwei im Schildhaupt, eine im Schildfuß. Das Wappenschild wurde zur Rechten und zur Linken von zwei goldenen Chimären gestützt und in der Mitte gekrönt von einem blauen Federbusch, dem silbernen, mit Gold ausgelegten, vorn durchbrochenen und mit elf Spangen geschlossenen Helm, welcher der Helm der Fürsten, der Marschälle von Frankreich, der Standesherren und der Präsidenten der höchsten Gerichtshöfe ist. Und als Wahlspruch: »So Gott will, so will auch ich.«
    Da Angélique immer von neuem sah, wie der heilige Georg das Ungeheuer mit seiner Lanze durchbohrte, während die Königstocher die gefalteten Hände emporstreckte, hatte sie nach und nach eine Leidenschaft für den heiligen Georg gefaßt. Auf diese Entfernung konnte sie die Gesichter schlecht unterscheiden, sie sah sie in einer traumhaften Vergrößerung, das schmale blonde Mädchen mit ihrem eigenen Gesicht, den arglosen und prächtigen Heiligen, schön wie ein Erzengel. Sie war es, die er befreien kam, sie hätte ihm aus Dankbarkeit die Hände geküßt. Und in dieses Abenteuer, von dem sie verworren träumte, eine Begegnung am Ufer eines Sees, eine große Gefahr, aus der ein junger Mann, schöner als der Tag, sie errettete, mischte sich die Erinnerung an ihren Ausflug zur Burg Hautecœur, ein richtiges Heraufbeschwören des vor dem Himmel stehenden Bergfrieds aus der Ritterzeit samt den hohen Herren von einst. Die Wappen schimmerten wie ein Gestirn der Sommernächte, sie kannte sie gut, sie las mühelos die klangvollen Worte darauf, sie, die so oft Wappen stickte. Johann V. ging von Haus zu Haus in der von der Pest verheerten Stadt, stieg hinauf, die Sterbenden auf den Mund zu küssen, und heilte sie mit den Worten: »So Gott will, so will auch ich.« Félicien III. pilgerte auf die Nachricht hin, daß Krankheit Philipp den Schönen88 hinderte, sich ins Heilige Land zu begeben, an seiner Statt dorthin, barfuß, eine Kerze in der Faust, was ihn berechtigt hatte, ein Feld des Wappens von Jerusalem in seinem Wappen zu führen. Andere und wieder andere Geschichten wurden heraufbeschworen, vor allem die der Herrinnen auf Hautecœur, der Glücklichen Toten, wie die Sage sie nannte. In der Familie starben die Frauen jung, in der Fülle des Glücks. Zuweilen wurden zwei, drei Generationen verschont, dann tauchte lächelnd, mit sanften Händen der Tod wieder auf und trug die Tochter oder die Gemahlin eines Hautecœur von hinnen, mit spätestens zwanzig Jahren, im Augenblicke einer großen Liebesglückseligkeit. Laurette, die Tochter Raouls I., die am Abend ihres Verlöbnisses mit ihrem Vetter Richard, der auf der Burg wohnte, an ihr Fenster getreten war, erblickte ihn an dem seinen, als sie vom Davidsturm zum Turm Karls des Großen hinüberschaute; und sie glaubte, er riefe sie, und da ein Mondstrahl zwischen ihnen eine Brücke von Licht schlug, ging sie auf ihn zu; doch in der Mitte ließ ein falscher Schritt sie in ihrer Hast aus dem Strahl heraustreten, sie stürzte hinab und zerschmetterte am Fuße des Turms; und so schreitet sie seit jener Zeit jede Nacht bei klarem Mond durch die Luft rings um die Burg, die das lautlose Streifen ihres weiten Gewandes in Weiß badet. Balbine, die Gemahlin Hervés VII., glaubte sechs Monate lang, ihr Gemahl sei im Kriege getötet worden; eines Morgens dann, als sie immer noch auf der Zinne des Bergfrieds auf ihn wartete, erkannte sie ihn auf der

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