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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und das war köstlich.
    Plötzlich sah sie, wie er vom Gerüst sprang und dann rückwärts durch das Gras ging, als wolle er Abstand gewinnen, um das Fenster besser zu sehen. Aber sie hätte beinahe losgelacht, so klar war es, daß er einzig und allein ihr näher kommen wollte. Er hatte beim Springen die wilde Entschlossenheit eines Mannes, der alles aufs Spiel setzt, an den Tag gelegt, und das rührend Drollige war jetzt, daß er wenige Schritte entfernt stehenblieb, wobei er ihr den Rücken zukehrte und in der tödlichen Verlegenheit über sein rasches Tun nicht wagte, sich umzudrehen. Einen Augenblick glaubte sie wohl, daß er so, wie er gekommen, wieder zu dem Kirchenfenster zurückgehen würde, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Er faßte jedoch einen verzweifelten Entschluß, er drehte sich um; und da sie gerade eben mit ihrem schelmischen Lachen den Kopf hob, begegneten sich ihre Blicke, blieben ineinander haften. Das brachte beide in große Verwirrung: sie verloren die Fassung, sie hätten sich niemals gefangen, wenn sich nicht ein dramatischer Zwischenfall ereignet hätte.
    »Oh, mein Gott!« schrie sie verzweifelt.
    In ihrer Aufregung war das Barchenthemd, das sie gedankenlos spülte, soeben ihrer Hand entschlüpft; und der schnelle Bach trug es davon; eine Minute noch, und es würde an der Ecke der Mauer des Hôtel Voincourt unter dem gewölbten Brückenbogen verschwinden, in den sich der ChevrotteBach stürzte.
    Es gab einige bange Sekunden. Er hatte begriffen, um was es ging, und war losgerannt. Doch die Strömung war reißend, und das Wasser hüpfte nur so über die Kieselsteine, dieses verteufelte Hemd lief schneller als er. Er beugte sich vor, glaubte es zu fassen, griff nichts als eine Handvoll Schaum. Zweimal verfehlte er es. Schließlich stieg er aufgeregt, mit der tapferen Miene, mit der man sich in Lebensgefahr begibt, ins Wasser, rettete das Hemd gerade in dem Augenblick, da es unter der Erde verschwinden wollte.
    Angélique, die bis dahin ängstlich das Rettungswerk verfolgt hatte, fühlte, wie das Lachen, das herzhafte Lachen, aus dem Schoß in ihr hochstieg. Ach! Dieses Abenteuer, das sie sich so sehr erträumt hatte, diese Begegnung am Ufer eines Sees, diese schreckliche Gefahr, aus der ein junger Mann, schöner als der Tag, sie befreien würde! Der heilige Georg, der Tribun, der Krieger, war nur noch dieser Glasmaler, dieser junge Arbeiter im grauen Kittel. Als sie ihn mit nassen Beinen zurückkommen sah, wie er das triefende Hemd linkisch hielt und wohl merkte, wie lächerlich die Leidenschaftlichkeit wirken mußte, mit der er es den Fluten entrissen, biß sie sich auf die Lippen, um die sprühende Heiterkeit zurückzuhalten, die sie in der Kehle kitzelte.
    Er versank in ihren Anblick. Sie war so anbetungswürdig kindlich in diesem Lachen, das sie zurückhielt und von dem ihre Jugend ganz durchbebt war. Über und über mit Wasser bespritzt und die Arme eiskalt vom fließenden Wasser, roch sie gut nach der Reinheit, nach der Klarheit der lebendigen Quellen, die aus dem Moos der Wälder hervorsprudeln. Das war Gesundheit und Freude mitten im hellen Sonnenschein. Man ahnte, daß sie eine gute Hausfrau und dennoch eine Königin war in ihrem Arbeitskleid, mit ihrem schlanken Wuchs, ihrem länglichen Gesicht einer Königstochter, wie sie in den Legenden vorkommen. Und er wußte nicht mehr, wie er ihr das Wäschestück zurückgeben sollte, so schön fand er sie, voll der künstlerischen Schönheit, die er liebte. Es machte ihn noch wütender, daß er aussah wie ein Dummkopf, denn er bemerkte sehr wohl, wie sie sich Mühe gab, nicht loszulachen. Er mußte sich entschließen, er gab ihr das Hemd zurück.
    Da begriff Angélique, daß sie schallend lachen würde, wenn sie die Lippen auseinandertäte. Der arme Junge! Er rührte sie sehr; doch es war unwiderstehlich, sie war zu glücklich, sie hatte ein unbändiges Bedürfnis zu lachen, zu lachen, daß ihr der Atem ausging.
    Schließlich glaubte sie sprechen zu können und wollte nur sagen: »Danke, mein Herr.«
    Aber das Lachen war wieder da, vor Lachen stammelte sie und brachte kein Wort heraus; und das Lachen klang sehr hoch, ein Regen wohllautender Töne, die zur kristallhellen Begleitung des ChevrotteBaches sangen.
    Aus der Fassung gebracht, fiel ihm nichts ein, nicht ein Wort. Sein so weißes Gesicht war jäh purpurrot angelaufen; seine schüchternen Kinderaugen hatten aufgeblitzt gleich Adleraugen. Und er ging davon, er war schon mit dem alten

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