Der Traum
sich noch einmal rasch um, von plötzlicher Güte überkommen, weil er nicht denken sollte, sie sei ihm allzu böse. Und verwirrt lächelnd, rief sie:
»Danke! Danke!«
Dankte sie ihm dafür, daß er ihr geholfen, die Wäschestücke wieder einzufangen? Oder für etwas anderes? Sie war verschwunden, die Tür schloß sich wieder.
Und er blieb allein zurück, mitten auf dem Feld unter den regelmäßigen heftigen Windstößen, die belebend über den reinen Himmel brausten. Die Ulmen des bischöflichen Gartens wogten mit langem Brandungsrauschen, eine laute Stimme schrie über die Dachumgänge und durch die Strebebögen der Kathedrale. Doch er hörte nur noch das leichte Klatschen einer kleinen Haube, die gleich einem weißen Strauß an einen Fliederzweig geknüpft war und die ihr gehörte.
Von diesem Tage an erblickte Angélique, jedesmal wenn sie ihr Fenster öffnete, Félicien unten im Clos Marie. Das Kirchenfenster war sein Vorwand, er lebte dort, ohne daß die Arbeit auch nur im geringsten vorankam. Stundenlang vergaß er, hinter einem Busch ausgestreckt im Grase liegend, alles um sich her, während er zwischen den Blättern hindurchspähte. Und es war sehr süß, morgens und abends ein Lächeln zu tauschen. Glücklich wie sie war, verlangte sie nicht mehr. Die Wäsche war erst in drei Monaten wieder fällig, die Gartentür würde bis dahin geschlossen bleiben. Aber wenn man sich täglich sah, würden drei Monate ja so schnell vergehen! Und dann, gab es ein größeres Glück, als so zu leben, am Tage für den Blick am Abend, in der Nacht für den Blick am Morgen?
Gleich bei der ersten Begegnung hatte Angélique alles erzählt, ihre Gewohnheiten, ihre Neigungen, die kleinen Geheimnisse ihres Herzens. Er, der schweigsam gewesen, hieß Félicien, und sonst wußte sie nichts. Vielleicht mußte das so sein, daß die Frau sich ganz gab, der Mann sich im Unbekannten zurückhielt. Sie empfand keinerlei frühzeitige Neugier, sie lächelte bei dem Gedanken an die Dinge, die gewiß Wirklichkeit werden würden. Außerdem, was sie nicht wußte, zählte nicht, wichtig war allein, daß sie einander sahen. Sie wußte nichts von ihm, und sie kannte ihn so gut, daß sie seine Gedanken aus seinem Blick ablas. Es war gekommen, sie hatte ihn erkannt, und sie liebten einander.
Und so genossen sie auf köstliche Weise dieses Besitzergreifen aus der Ferne. Es war ein unaufhörlich neues Entzücken über die Entdeckungen, die sie machten. Sie hatte lange, von der Nadel zerstochene Hände, die er anbetete. Sie merkte, daß er sehr schmale Füße hatte, und sie war stolz, daß sie so klein waren. Alles an ihm berührte sie angenehm, sie war ihm dankbar, daß er schön war, sie empfand eine ungestüme Freude an dem Abend, da sie feststellte, daß sein Bart von hellerem Blond war als sein Haar und so sein Lächeln ungemein sanft wirkte. Er ging wie berauscht davon, als sie sich eines Morgens über die Brüstung gebeugt und er auf ihrem zarten Hals ein braunes Mal erblickt hatte. Auch ihre Herzen entblößten sich, und da wurde ihnen manch glücklicher Fund zuteil. Gewiß besagte die unbefangene und stolze Gebärde, mit der sie das Fenster öffnete, daß sie trotz ihrer Stellung als kleine Stickerin die Seele einer Königin hatte. Ebenso fühlte sie, daß er gut war, wenn sie sah, mit welch leichtem Schritt er das Gras niedertrat. Rings um sie her strahlte es nur so von Vorzügen und Gnaden in dieser ersten Stunde ihres Begegnens. Jedes Wiedersehen hatte seinen eigenen Zauber. Es schien ihnen, als würden sie diese Glückseligkeit, einander zu sehen, niemals ausschöpfen können.
Indessen zeigte Félicien bald eine gewisse Ungeduld. Er blieb nicht mehr stundenlang in der Reglosigkeit eines vollkommenen Glückes unter einem Busch liegen. Sowie Angélique erschien und sich mit den Ellbogen auf die Brüstung stützte, wurde er unruhig, versuchte sich ihr zu nähern. Und das ärgerte sie schließlich ein wenig, denn sie fürchtete, daß man ihn bemerken könnte. Eines Tages gab es sogar ein richtiges Zerwürfnis: er war bis an die Mauer vorgedrungen, sie mußte den Balkon verlassen. Das war eine Katastrophe, er war dadurch so erschüttert, Unterwürfigkeit und demütiges Bitten standen ihm so beredt im Gesicht geschrieben, daß sie am nächsten Tage bereits verziehen hatte und sich zur gewohnten Stunde auf die Brüstung stützte. Doch das Warten genügte ihm nicht mehr, er fing wieder an. Jetzt schien er überall auf einmal im ClosMarie zu
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