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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zum Nachdenken kam. Schon um neun Uhr fiel sie vor Müdigkeit um, ging zu Bett, schlief einen bleiernen Schlaf. Wenn die Arbeit ihr eine Minute lang den Kopf frei ließ, wunderte sie sich, Félicien nicht zu sehen. Wenn sie auch nichts tat, um ihm zu begegnen, so dachte sie doch, er hätte von sich aus alles überwinden müssen, um zu ihr zu gelangen. Aber sie gab ihm recht, daß er sich so besonnen zeigte, sie hätte ihn gescholten, hätte er die Dinge übereilen wollen. Zweifellos wartete auch er auf das Wunder. Einzig von der Erwartung lebte sie jetzt und hoffte jeden Abend, daß das Wunder am nächsten Tag eintreten werde. Bis jetzt hatte sie noch nicht aufbegehrt. Zuweilen jedoch hob sie den Kopf: wie, noch immer nichts? Und sie stach kräftig ihre Nadel durch, von der ihre kleinen Hände bluteten. Oft mußte sie sie mit der Zange herausziehen. Wenn die Nadel mit dem harten Knacken zerschellenden Glases zerbrach, machte sie nicht einmal eine ungehaltene Gebärde.
    Hubertine war besorgt, wenn sie sie so übereifrig bei der Arbeit sah, und da die Zeit der großen Wäsche gekommen war, zwang sie sie, von der Stickerei abzulassen und vier gute, von tätigem Leben erfüllte Tage im hellen Sonnenlicht zu verbringen. Mutter Gabet, die jetzt vor ihren Schmerzen Ruhe hatte, konnte beim Waschen und Spülen helfen. Es war ein richtiges Fest im ClosMarie, diese letzten Augusttage hatten einen wunderbaren Glanz, einen glühenden Himmel und schwarze Schatten, während eine köstliche Kühle dem ChevrotteBach entströmte, dessen munteres Wasser vom Schatten der Weiden eiskalt war. Und Angélique verbrachte den ersten Tag sehr fröhlich, klopfte die Wäschestücke und tauchte sie ins Wasser, freute sich über den Bach, über die Ulmen, über die eingefallene Mühle, über die Gräser, über all das, was ihr hier so vertraut, so voller Erinnerung war. Hatte sie hier nicht Félicien kennengelernt, zunächst geheimnisvoll im Mondlicht, dann so anbetungswürdig unbeholfen an dem Morgen, da er das fortgespülte Hemd gerettet hatte? Sie konnte sich nicht enthalten, nach jedem Stück, das sie spülte, einen Blick nach der früher stets verschlossenen Gittertür des bischöflichen Gartens zu werfen: sie war eines Abends an seinem Arm hindurchgeschritten, vielleicht würde er sie plötzlich öffnen, um sie zu holen und sich mit ihr vor seinem Vater auf die Knie zu werfen. Diese Hoffnung verzauberte ihre schwere Arbeit, bei der sie mit Seifenschaum bespritzt wurde.
    Doch am nächsten Tag, als Mutter Gabet die letzte Karre voll Wäsche herbeibrachte, die sie mit Angélique ausbreiten sollte, unterbrach sie ihr endloses Geschwätz, um arglos zu fragen:
    »Da fällt mir ein, wissen Sie schon, daß der Bischof seinen Sohn verheiratet?«
    Das junge Mädchen, das gerade ein Bettuch ausbreitete, sank im Gras auf die Knie, das Herz versagte ihm unter diesem Schlag.
    »Ja, die Leute sprechen davon ... Der Sohn des Bischofs wird im Herbst Mademoiselle de Voincourt heiraten ... Alles soll vorgestern geregelt worden sein.«
    Angélique blieb auf den Knien liegen, eine Woge wirrer Gedanken brauste in ihrem Kopf. Die Nachricht überraschte sie keineswegs, sie fühlte, daß sie wahr sei. Ihre Mutter hatte sie darauf vorbereitet, sie hätte darauf gefaßt sein müssen. Doch was sie in diesem ersten Augenblick so in die Knie zwang, war der Gedanke, Félicien könne aus Angst vor seinem Vater eines Tages schwach werden und die andere heiraten, ohne sie zu lieben. Dann wäre er für Angélique, die er anbetete, verloren. Niemals hatte sie an die Möglichkeit eines solchen Versagens gedacht, sie sah, wie er sich unter der Pflicht beugen und im Namen des Gehorsams ihrer beider Unglück verschulden würde. Und ohne daß sie sich rührte, hatten sich ihre Augen auf das Gittertor gerichtet, eine Empörung brachte sie endlich in Wallung, das Bedürfnis, hinzugehen und an den Stäben zu rütteln, das Tor mit ihren Fingernägeln zu öffnen, zu ihm zu laufen und ihm mit ihrem Mute beizustehen, damit er nicht nachgebe.
    Sie war verwundert, zu hören, wie sie in dem rein mechanischen Instinkt, ihre Verwirrung zu verbergen, Mutter Gabet antwortete:
    »Ach, er heiratet Mademoiselle Claire ... Sie ist sehr hübsch, es wird erzählt, sie sei sehr gütig ...«
    Ganz gewiß würde sie, sobald die alte Frau fort wäre, zu ihm gehen. Sie hatte genug gewartet, sie würde ihren Schwur, ihn nicht wiederzusehen, wie ein lästiges Hindernis brechen. Mit welchem Recht trennte man

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