Der Traum
starrsinnig den Ritus bis zu Ende durchführen wollte, um Gott Zeit zum Handeln zu lassen, sprach die Formel:
»Accipe lampadem ardentem, custodi unctionem tuam, ut cum Dominus ad judicandum venerit, possis occurrere ei cum omnibus sanctis, et vivas in saecula saeculorum.«119
»Amen«, antwortete der Abbé.
Doch als sie versuchten, Angéliques Hand zu öffnen und sie um die Kerze zu schließen, fiel die leblose Hand auf die Brust zurück.
Jetzt wurde der Bischof von einem heftigen Zittern befallen. Seine lange niedergehaltene Gemütsbewegung überströmte ihn und trug die letzte Strenge des Priestertums hinweg. Er hatte dieses Kind von dem Tage an geliebt, da es ihm zu Füßen geschluchzt. Zu dieser Stunde war sie erbarmungswürdig mit dieser Grabesblässe, von so schmerzlicher Schönheit, daß er die Blicke nicht mehr nach dem Bett wenden konnte, ohne daß sein Herz im geheimen von Kummer ertränkt wurde. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, zwei schwere Tränen schwellten seine Lider, rannen über seine Wangen. Sie konnte doch nicht so sterben, er war bezwungen durch den Zauber, der noch im Tode von ihr ausging.
Und der Bischof, der sich an die Wunder seines Geschlechts erinnerte, an diese Macht zu heilen, die der Himmel ihnen verliehen, dachte, daß Gott ohne Zweifel auf seine väterliche Einwilligung wartete. Er rief die heilige Agnes an, die alle die Seinen verehrt hatten, und wie Johann V. d˜Hautecœur, der zu den Pestkranken gegangen war, an ihrem Bett gebetet und sie geküßt hatte, so betete er, küßte er Angélique auf den Mund.
»So Gott will, so will auch ich.«
Sogleich schlug Angélique die Lider auf. Aus ihrer langen Ohnmacht erwacht, sah sie ihn ohne Verwunderung an; und ihre von dem Kusse warmen Lippen lächelten. Nun sollte also alles Wirklichkeit werden; vielleicht hatte sie aber auch nur geträumt und fand es ganz natürlich, daß der Bischof da war, um sie seinem Sohne anzuverloben, da die Stunde endlich gekommen. Ganz allein setzte sie sich auf in dem großen königlichen Bett.
Der Bischof, dem der helle Schein des Wunders in den Augen stand, wiederholte die Formel:
»Accipe lampadem ardentem ...«
»Amen«, antwortete der Abbé.
Angélique hatte die angezündete Kerze genommen, und mit fester Hand hielt sie sie aufrecht. Das Leben war zurückgekehrt, die Flamme brannte sehr hell und vertrieb die Geister der Nacht.
Ein lauter Schrei hallte durch das Zimmer, Félicien stand aufrecht da, gleichsam emporgehoben vom Windstoß des Wunders, während die Huberts, von demselben Wehen niedergeworfen, mit weit offenen Augen und verzücktem Antlitz angesichts dessen, was sie soeben geschaut, auf den Knien liegenblieben. Das Bett erschien ihnen wie in helles Licht gehüllt, weiße Stäubchen stiegen noch immer in dem Sonnenstrahl empor gleich weißen Federn; und die weißen Wände, das ganze weiße Zimmer bewahrte einen schneeigen Glanz. In der Mitte strömte Angélique gleich einer Lilie, die sich auf ihrem Stengel frisch wieder aufgerichtet hat, diese Helligkeit aus. Ihr feines goldiges Haar umgab sie wie ein Heiligenschein, ihre veilchenfarbenen Augen leuchteten überirdisch, voller Lebensglanz strahlte aus ihrem reinen Antlitz. Und als Félicien sie geheilt sah, war er erschüttert von dieser Gnade, die der Himmel ihnen gewährte, trat er näher und kniete neben dem Bett nieder.
»Ach, teure Seele, Sie erkennen uns wieder, Sie leben ...
Ich gehöre Ihnen, mein Vater will es, da Gott es gewollt hat.«
Sie neigte den Kopf, sie lachte froh.
»Oh! Ich habe es gewußt, ich habe gewartet ... Alles, was ich gesehen, muß sich erfüllen.«
Der Bischof, der seine ruhige Erhabenheit wiedergefunden hatte, legte ihr von neuem das Kruzifix auf den Mund, das sie dieses Mal als gehorsame Dienerin küßte. Dann erteilte er mit einer weit ausholenden Gebärde über das ganze Zimmer, über alle Köpfe hin, die letzten Segnungen, während die Huberts und Abbé Cornille weinten.
Félicien hatte Angéliques Hand ergriffen. Und in ihrer anderen kleinen Hand brannte die Kerze der Unschuld mit hoher Flamme.
Kapitel XIV
Die Hochzeit wurde auf die ersten Märztage festgesetzt. Doch Angélique blieb sehr schwach, trotz der Freude, die von ihrem ganzen Wesen ausstrahlte. Sie hatte zunächst gleich in der ersten Woche ihrer Genesung wieder in die Werkstatt hinuntergehen wollen und eigensinnig darauf bestanden, die Stoffbahn mit der Reliefstickerei für den Bischofsthron zu beenden: das sei ihre letzte
Weitere Kostenlose Bücher