Der Traum
Aufgabe als Arbeiterin, sagte sie fröhlich, man ließe so eine Arbeit nicht halbfertig liegen. Dann hatte sie, durch diese Anstrengung erschöpft, erneut das Zimmer hüten müssen. Sie lebte dort lächelnd, ohne jedoch die volle Gesundheit von einst wiederzufinden, immer noch weiß und vergeistigt wie bei der heiligen Ölung, kam und ging mit dem leichten Schritt einer Erscheinung, ruhte sich stundenlang versonnen aus von irgendeinem weiten Weg, von ihrem Tisch zu ihrem Fenster.
Und man schob die Hochzeit hinaus, man beschloß, ihre völlige Genesung abzuwarten, die bei der richtigen Pflege bald eintreten mußte.
Jeden Nachmittag kam Félicien sie besuchen. Hubert und Hubertine waren dabei, alle vier verbrachten köstliche Stunden miteinander, sie schmiedeten immer wieder dieselben Pläne. Angélique, die in ihrem Sessel saß, zeigte sich heiter und lebhaft, sprach als erste von den so erfüllten Tagen des Lebens, das sie nun bald führen werde, von den Reisen, von der Burg Hautecœur, die es wiederaufzubauen galt, von allen Glückseligkeiten, die sie kennenlernen sollte. Man hätte sie jetzt wirklich für gerettet halten können, denn sie kam wieder zu Kräften in dem zeitigen Frühling, der von Tag zu Tag wärmer durch das geöffnete Fenster hereindrang. Und sie verfiel nur dann wieder in ihre ernsten Träumereien, wenn sie allein war und keine Angst zu haben brauchte, daß man sie sah. In der Nacht hatten Stimmen sie gestreift; dann wieder war es ein Ruf der Erde rings um sie; auch in ihr entstand Klarheit, sie begriff, daß das Wunder einzig deshalb fortdauerte, damit ihr Traum in Erfüllung ging. War sie nicht schon tot und lebte zwischen den äußeren Erscheinungen nur noch dank einer Frist, die die Dinge ihr gewährten? Das wiegte sie in den Stunden der Einsamkeit mit unendlicher Süße, obwohl sie kein Bedauern empfand bei dem Gedanken, inmitten ihrer Freude hinweggerafft zu werden, und allezeit gewiß war, daß sie das Glück bis zur Neige auskosten würde. Die Krankheit würde warten. Ihre große Freude wurde dadurch nur noch ernst, sie gab sich auf, zeigte keine Lebensäußerung, fühlte ihren Körper nicht mehr, entschwebte zu den reinen Wonnen; und sie mußte erst hören, daß die Huberts die Tür wieder öffneten, oder Félicien mußte hereinkommen, sie zu besuchen, damit sie sich wieder aufrichtete, die wiedergekehrte Gesundheit vortäuschte und lachend von ihren Ehejahren plauderte, die noch sehr fern in der Zukunft lagen.
Gegen Ende des Monats März schien Angélique noch fröhlicher zu werden. Zweimal hatte sie, als sie ganz allein war, Ohnmachtsanfälle gehabt. Eines Morgens war sie am Fußende des Bettes hingesunken, als Hubert ihr gerade eine Tasse Milch heraufbrachte; und um ihn zu täuschen, scherzte sie auf dem Fußboden, erzählte, sie suche eine verlorengegangene Nadel. Am nächsten Tage dann tat sie sehr fröhlich, sprach davon, die Hochzeit zu beschleunigen, sie auf Mitte April festzusetzen. Alle erhoben laut Einspruch: sie sei noch so schwach, warum nicht warten? Es dränge doch nichts. Doch sie fieberte, sie wollte sogleich, auf der Stelle. Hubertine, die sich wunderte, schöpfte Verdacht angesichts dieser Eile, schaute sie einen Augenblick an und erbleichte bei dem schwachen kalten Hauch, der sie streifte. Doch schon beruhigte sich die teure Kranke in ihrem zärtlichen Bedürfnis, den anderen etwas vorzutäuschen, obwohl sie sich verloren wußte. Hubert und Félicien hatten in ihrer ständigen Anbetung nichts gesehen und nichts gespürt. Und Angélique, die mit großer Willensanstrengung aufstand und mit ihrem geschmeidigen Schritt von früher hin und her ging, war bezaubernd und sagte, die Trauung werde sie vollends gesund machen, so glücklich werde sie sein. Im übrigen habe der Bischof zu entscheiden. Als am selben Abend der Bischof kam, setzte sie ihm ihren Wunsch auseinander, wandte ihren Blick nicht von seinen Augen und redete mit so sanfter Stimme, daß aus den Worten ein unausgesprochenes glühendes Flehen sprach. Der Bischof wußte nun alles, und er brachte Verständnis auf. Er setzte die Hochzeit auf Mitte April fest.
Jetzt lebten alle in heller Aufregung, große Vorbereitungen wurden getroffen. Obwohl Hubert amtlicher Vormund war, hatte er die Einwilligung des Leiters der Fürsorgeabteilung einholen müssen, der noch immer den Familienrat vertrat, weil Angélique noch nicht großjährig war; und Herr Grandsire, der Friedensrichter, hatte die Erledigung dieser
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