Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
Vom Netzwerk:
sprach. Doch ehe ich michs versah, schlitterte ich schon in rasantem Tempo durch die Kurven seines Gedankengangs.
    Zunächst ging er kurz auf die Entstehungsgeschichte des Marxismus ein. Karl Marx, der von 1818 bis 1883, und Friedrich Engels, der von 1820 bis 1895 lebte, hätten sich in Paris kennengelernt, wo sie eine lebenslange Zusammenarbeit begannen. Ihrer Meinung nach waren die Art und Weise der Güterproduktion und die Verteilung des Reichtums in der Gesellschaft die bestimmenden Kräfte für den Fortgang der Geschichte und Grundlage aller Politik, Moral, Philosophie und überhaupt der gesamten Kultur. Marx war der Überzeugung, dass die Geschichte der Menschheit nach objektiven Gesetzmäßigkeiten fortschreitet, und lehnte jede religiöse Interpretation von Natur und Geschichte ab. Diese Gesetzmäßigkeiten würden schließlich auch zur Übernahme der Produktionsmittel durch die geknechtete Arbeiterklasse führen, die damit frei würde, ihre Geschichte selbst weiterzuschreiben. Am Ende wären alle Klassengegensätze aufgehoben und die Menschen frei und gleich.
    Doch der Traum von der Freiheit und Gleichheit aller sei leider nicht Wirklichkeit geworden, bemerkte der Meister. Als in einigen Ländern Sozialisten an die Macht kamen, wurden sie unbarmherzig und brachten zahllose vermeintliche Gegner brutal zum Schweigen. Sie nahmen den Menschen grundlegende Rechte und zermalmten so die Freiheit, die sie selbst gepredigt hatten. Der Führerkult trat an die Stelle der Religion, und die Arbeiterklasse schrieb am Ende nicht ihre eigene Geschichte, sondern die Geschichte, die ihr von der Parteiführung diktiert wurde.
    »Diese Revolutionsidee gründete auf Zwang, denn das kapitalistische System sollte mit Gewalt zerstört werden. Ich aber träume davon, es friedlich umzubauen. Wahre Veränderung kann niemals von außen erzwungen werden, sondern muss von innen kommen. Es geht um eine Veränderung des Denkens, um einen neuen Blick auf das, was uns umgibt, und insbesondere darum, dass wir wieder lernen, zu genießen und Vergnügen und Freude zu empfinden. Mein Traum liegt im Inneren der Menschen.«
    Nachdem der Meister auf diese Weise allen eindrücklich gezeigt hatte, dass er genau wusste, wovon er sprach, wies er noch darauf hin, dass die Kapitalisten, also die Inhaber der Fabriken, zu Marx’ Lebzeiten ihre Arbeiter bis aufs Blut ausbeuteten und ihre finanzielle und politische Übermacht einsetzten, um sie brutal zu unterdrücken. Eine kleine Minderheit der Bevölkerung hatte im Überfluss gelebt und die große Mehrheit im Elend.
    »Heutzutage gibt es zwar immer noch Klassenunterschiede und soziale Ungerechtigkeiten, aber das System hat im Zuge der Globalisierung noch eine neue Klasse Ausgebeuteter hervorgebracht, nämlich euch!«
    Ich konnte es nicht glauben. Waren die Leute, die er auf den Friedhof eingeladen hatte, nicht äußerst privilegiert? Lebten sie etwa nicht im Luxus? Wie konnte der Meister sie als ausgebeutete Klasse, als die neuen Proletarier bezeichnen?
    Zur Begründung seiner Gedanken führte er nun aus: »Früher galt die Volksweisheit vom reichen Opa und armen Enkel. Man sagte auch: ›Bald reich, bald arm, bald gar nichts.‹ Und damit war gemeint, dass ein Vermögen nach drei Generationen aufgebraucht war. Aber heutzutage gilt das nicht mehr. Ein solides Unternehmen kann innerhalb von fünf Jahren verschwinden. Große Lieferanten können binnen kürzester Zeit aus dem Markt gedrängt werden. Inzwischen können sich in einer einzigen Generation riesige Vermögen in Luft auflösen.«
    Die Geschäftsleute waren nach einem anfänglichen Schock nachdenklich geworden und begannen, dem geheimnisvollen Provokateur zuzustimmen.
    »Damit eure Firmen überleben, müsst ihr ununterbrochen miteinander konkurrieren, und um in diesem Wettrennen an der Spitze zu bleiben, müsst ihr euch Jahr für Jahr, Monat für Monat und Woche für Woche selbst übertreffen.«
    Und dann stellte der Traumhändler eine Grundsatzfrage: »Zermalmt das System diejenigen Unternehmen, die Schwäche zeigen?«
    Alle bejahten diese Frage, doch der Meister rief: »Falsch! Das System zermalmt nicht die Unternehmen, sondern ihre Führer.«
    Anschließend wies er darauf hin, dass auch Ärzte, Anwälte, Ingenieure, Journalisten und Mitglieder vieler anderer Berufszweige in den Mühlen des Systems zermalmt würden.
    Langsam dämmerte den meisten Mitgliedern der Finanzelite, dass sie gar nicht so reich und trotz ihrer Macht auch nicht so stark

Weitere Kostenlose Bücher