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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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meine Damen und Herren, muss man sich machen, nicht weil diese Wucherungen der großen Lymphknotengeschwulst alles aufessen und austrinken, nein, echte Sorgen muss man sich machen, weil sie mitihren hungrigen Wolfsblicken jedes vorbeigehende Mädchen aus Coya verschlingen, diese otopyorrhötischen Staubfresser, Auswüchse der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura!

V
    Am Freitag traf uns ein Verhängnis, das alle überraschte und erschreckte, eine Naturgewalt, wie sie in der Wüste nur alle hundert Jahre zu erleben ist: ein unglaubliches Unwetter mit Regen, Hagel, Donner und Blitz. Für die Betagtesten unter uns eine Bestätigung dafür, dass die Mine unwiderruflich dichtgemacht wurde, denn von jeher war bekannt, dass unerhörte Ereignisse wie dieses in der Wüste untrüglich vom Verschwinden einer Salpetersiedlung kündeten.
    Am Morgen war der Himmel lückenlos bedeckt, in unseren glutheißen Breiten ein Anlass zu allgemeiner Freude. Das kühlende Wolkenzelt und die Luftfeuchtigkeit, die sich am schroffen Geröll ringsum niederschlug, hoben unsere Stimmung und ließen uns die Traurigkeit, die uns seit Tagen das Gemüt zerbeulte, ein wenig vergessen.
    Zumindest den Tag über.
    Die Frauen fühlten sich an die winterlichen Tage im Süden erinnert, aus dem sie stammten, und kauften Mehl, Kürbis und Rohzucker für Kürbispfannkuchen in Sirup; die Männer trieben wer weiß wie und woher einen Ball auf und fingen eine frenetische Bolzerei an, die sich noch hinzog, als längst Zeit fürs Mittagessen war. Unterdessen schwänzten die Kinder fröhlich ihren Unterricht, gingen in aufgekratzten Horden auf Entdeckertour in die aufgelassenen Salpeterfelder, schossen dort mit ihren Steinschleudern aus Algarrobenholz Eidechsen ab, pafften heimlich ihre erste Zigarette und veranstalteten wie eh und je Wichswettbewerbe.
    Zwar war die Stimmung in der gesamten Siedlung an diesem Morgen ausgelassen, der Hauptpreis für Aufruhr und Geschrei ging jedoch an die Bewohner der »Häuserzeile der sieben Todsünden«. Was allerdings weniger mit der morgendlichen Frische zu tun hatte als mit zwei ungeheuerlichen Gerüchten, von denen die Frühaufsteher dort erfuhren und die sich durch die Höfe verbreiteten wie ein Lauffeuer.
    In allen Salpetersiedlungen (auch in Coya Sur) ergaben sich bisweilen Zufälle und Eigentümlichkeiten, die man bei Lichte betrachtet kaum glauben konnte. So hatte es beispielsweise in der Siedlung Alianza einmal eine Fußballmannschaft gegeben, deren unüberwindliche Abwehr zeitweilig aus nicht weniger als drei der größten Heroen der griechischen Mythologie bestand: Die Nummer Zwei hieß Aquiles, die Drei Odiseo, und das Trikot mit der Vier trug ein gewisser Hércules (Hércules Zorricueta).
    Da erstaunt es wenig, was die Männer in den Kneipen der Siedlung nicht ohne eine Prise schlauen Spotts erzählten: dass nämlich Aquiles mit dem Spielen hatte aufhören müssen wegen einer Verletzung an der Ferse.
    Von ähnlichem Kaliber waren die beiden Konstellationen, die sich bei uns daheim, in unserer Siedlung ergeben hatten. Erstens trugen die Männer, die in drei Schichten die Aufsicht über die Gasse der Junggesellenhatten, die Namen der drei größten araukanischen Krieger in der Geschichte Chiles: Galvarino, Lautaro und Caupolicán.
    Noch dazu hieß die Gasse selbst Caupolicán.
    Das zweite betraf die berühmte Häuserzeile, die der Volksmund treffend »die Reihe der sieben Todsünden« getauft hatte. Dort hatte es sich nämlich ergeben, sei es durch pure Niedertracht des Angestellten, der die Häuser zuteilte, sei es durch die geistreich und spontan sich entfaltende Kunst des Zufalls (»Welch poetische Freiheit sich die göttliche Vorsehung doch bisweilen erlaubt«, hatte Don Celestino Rojas gesagt und dazu ein Gesicht gemacht wie ein Poeta laureatus), dass dort Tür an Tür wohnten: Doña María Marabunta, der müde Gutiérrez, Felipe der Traurige, der bolivianische Gringo, das Pipigesicht, Doña Doñita Mamani und die verrückte Maluenda.
    María Marabunta, die dickste Matrone der Siedlung, verkörperte unangefochten, fast erübrigt es sich, das zu sagen, die Sünde der Völlerei. Der müde Gutiérrez, ein Wachmann mit leichenblasser Miene und Kugelbauch, war die fleischgewordene Trägheit (man erzählte sich, während einer Nachtschicht hätten einige Witzbolde den Strohsack, auf dem der müde Gutiérrez im Tiefschlaf lag, hochgehoben, ihn leise aus der Mine und bis in die Siedlung getragen, wo sie ihn mitten auf

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