Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Traurige Polizist

Titel: Der Traurige Polizist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
Vom Netzwerk:
Schlips.
     Hanna wirkte klein und einsam in ihrem langen blauen Rock, der weißen Bluse und den weißen Sandalen. Sie lächelte, als sie
     ihn sah, ein eigenartiger Ausdruck auf ihrem Gesicht, denn gleichzeitig runzelte sie immer noch die Stirn, als wetteiferten
     die beiden Gesichtsausdrücke miteinander.
    »Außer Ihnen ist niemand gekommen«, sagte sie und schaute an ihm vorbei zum Eingang.
    »Oh«, sagte er. An diese Möglichkeit hatte er gar nicht gedacht. Er stand neben ihr, er fühlte sich unwohl. Der Blazer war
     ein wenig eng an den Schultern. Er faltete die Hände vor sich. Hanna Nortier wirkte winzig neben ihm. Sie schaute immer noch
     mit gerunzelter Stirn zum Eingang, dann sah |215| sie auf die Uhr, eine übertriebene Geste, die er nicht bemerkte.
    »Sie fangen jetzt an.« Trotzdem blieb sie stehen, wo sie war.
    Joubert wußte nicht, was er sagen sollte. Er betrachtete die anderen Leute, die durch die Tür am Ende des Ganges verschwanden.
     Sie trugen alle Freizeitkleidung. Keine Krawatte in Sicht. Er hatte das Gefühl, daß alle ihn anstarrten. Ihn und Hanna Nortier.
     Die Schöne und das Biest.
    Sie traf eine Entscheidung. »Gehen wir doch rein und setzen uns.«
    Sie ging vor ihm her, durch den Gang und die Tür. Es war ein großer Saal, fast so groß wie der olympische Swimmingpool, in
     dem er jeden Morgen litt. Die Sitzreihen stiegen hintereinander auf wie in einem flachen Amphitheater, die Mitte war niedrig
     gelegen, und an den Seiten zogen sich die breiten Stufen nach oben. Stühle standen auf den Stufen. Fast alle waren schon besetzt.
     Unten, in der Mitte, standen ein Piano, ein paar Stühle und einige Notenständer aus Edelstahl.
    Er folgte ihr, er schaute auf seine schwarzen Schuhe. Er sah, daß sie nicht geputzt waren. Er wünschte sich, er könnte sie
     verstecken. Er hatte das Gefühl, als starrten ihn alle an, seine schmutzigen Schuhe. Und seine Krawatte.
    Schließlich setzte Hanna Nortier sich. Er nahm neben ihr Platz. Er schaute sich um. Niemand sah ihn an. Die Leute plauderten
     miteinander, sie waren sehr entspannt.
    Sollte er ihr sagen, daß er keine Ahnung von Oper hatte? Bevor sie darüber reden wollte und er sich zum Narren machte?
    »Nun«, sagte sie und lächelte ihn an. Ohne gerunzelte Stirn. Er wünschte sich, daß er sich seiner Frustrationen ebenso leicht
     entledigen konnte, sofort und ganz. »Sie sind derjenige, mit dem ich nicht gerechnet habe, Captain Mat Joubert.«
    |216| Sag es ihr.
    »Ich …«
    Ein paar Leute kamen zur Tür herein. Das Publikum applaudierte begeistert. Die Neuankömmlinge setzten sich auf die Stühle
     an der Wand hinter dem Piano. Ein Mann blieb stehen. Der Applaus verklang, und der Mann lächelte. Er begann zu sprechen.
    Der Mann erzählte von Rossini. Seine Stimme war nicht laut, aber Joubert konnte ihn gut verstehen. Er schaute kurz zu Hanna
     Nortier hinüber. Sie war fasziniert.
    Joubert atmete tief durch. Es war nicht so schlimm, wie er gedacht hatte.
    Der Sprecher war ganz begeistert. Joubert begann zuzuhören.
    »Und dann, mit siebenunddreißig, schrieb Rossini seine letzte Oper.
Wilhelm Tell
«, sagte der Mann.
    Ha, dachte Joubert. Der große Sensenmann nimmt auch Berühmtheiten, wenn’s sein muß.
    »In den verbleibenden vierzig Jahren seines Lebens schrieb er keine weitere Oper – es sei denn, man könnte
Stabat Mater
als solche ansehen. War er nur faul? Oder müde? Oder war seine Kreativität einfach zu Ende?« fragte der Mann und schwieg einen
     kurzen Augenblick. »Wir werden es nie erfahren.«
    Doch nicht das Werk des großen Sensenmannes, dachte Joubert, aber dennoch blieb Rossini sein Blutsbruder. Bloß daß er den
     Komponisten schon geschlagen hatte. Er war erst vierunddreißig und schon müde. Seine Kreativität war erschöpft. Würde das
     Hirn, das hinter so großartigen Kompositionen wie
Das Volk gegen Thomas Maasen
und packenden Werken wie
Der Fall des Oranjezicht-Vergewaltigers
stand, nie wieder einen klassischen Kriminalfall lösen?
    |217| Wir werden es nie erfahren.
    Oder doch?
    Der Sprecher erzählte nun vom
Barbier von Sevilla
. Joubert brannte sich den ganzen Namen der Oper ins Hirn. Er wollte ihn nicht vergessen. Wenn Hanna Nortier davon sprach,
     wollte er sich um keinen Preis zum Narren machen.
    »Es ist bemerkenswert, daß die Italiener die erste Aufführung des
Barbiers
fast von der Bühne gebuht haben«, sagte der Redner. »Das muß eine schreckliche Demütigung für Rossini gewesen sein.«
    Joubert lächelte

Weitere Kostenlose Bücher