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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Kreisflügen verfolgten.
    »Wo sind die Soldaten, die mich begleitet haben?«
    Das Mädchen drehte sich um und betrachtete ihn schweigend. Angesichts ihres undurchdringlichen Blicks wich alles Blut aus seinen Zügen.
    »Erschlagen?«
    Sie nickte langsam. Die Fliege setzte sich neben ihn und kletterte über einen Strohhalm. Die Kinder jauchzten. Das Zerren in der Schulter und im Bein ließ nicht nach.
    »Alle?«, krächzte er.
    Sie zögerte, bevor sie den Hals beugte.
    Mechanisch verscheuchte er die Fliege von der Wolldecke, dann wandte er sich dem Mädchen zu. Sie war wirklich hübsch, nur die sonderbar eingezogene Nasenwurzel, die diese Leute hatten, störte die Ebenmäßigkeit ihres Profils. Unter dem Jubeln und Singen der Vögel ließ er den Blick über den schlanken Leib des Mädchens schweifen und erinnerte sich an einen der abkommandierten Leibwächter, einen rothaarigen, sommersprossigen Burschen, jungenhaft schlaksig mit glatten Schenkeln. Und an den stets gut gelaunten Decurio; sie hatten sich bestens verstanden, da der Offizier nicht wesentlich älter war als er selbst und den Freuden des Lebens ebenso sehr zusprach – zugesprochen hatte, verbesserte Cinna sich grimmig.
    »Wo habt ihr mich hingebracht? Was habt ihr vor?«
    Sie knotete das bunt karierte Schultertuch über der Brust, nahm den Beutel mit den Hexengiften auf.
    »Keine Angst, du wirst nicht sterben«, entgegnete sie hart. »Und alles Weitere entscheidet mein Vater.«
    »Dein Vater? Wer soll das sein?« Er fuhr hoch, die Faser in seiner Schulter spannte sich scharf an, sie reichte tief in den Nacken und bis in die Fingerspitzen. Schwer atmend presste er die Finger auf die Wunde und fiel wieder auf das Kissen.
    »Du wirst es bald erfahren, Romulus.« Ein boshaftes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus.
    »Jetzt werde ich es erfahren, Mädchen!«, stieß Cinna hervor. »Nenne mir den Namen deines Volkes, deiner Familie, den deines Vaters oder wer sonst auch immer Herr unter diesem Dach ist.«
    »Jetzt wirst du schlafen, Romulus. Schlafen und genesen.« Neben ihm kniend, zog sie behutsam die herabgeglittene Decke über seine Schultern und wollte sie feststopfen, als er sie wutentbrannt beiseite stieß.
    »Wofür hältst du mich eigentlich?«
    Ein Blinzeln war die Antwort, und sie richtete sich träge auf.
    »Ich weiß nicht, was mein Vater und die anderen Männer von dir denken – ich für meinen Teil halte dich für einen zweitklassigen Stabsoffizier, der dumm genug war, zu glauben, dass dieses Land für alle Zeit fest in eurer Gewalt ist.«
    Zorn brannte auf seinen Wangen, als sie sich umdrehte und durch die niedere Pforte hinausging, zur Haustür, die knirschend hinter ihr zufiel und den schrägen Streifen Licht abschnitt. Sobald Asprenas oder Quinctilius Varus ihn hier herausgehauen hatten, würde er Anspruch auf dieses hübsche Ding geltend machen. Er hatte ein Recht auf Wiedergutmachung.

II
    Die Befreier ließen auf sich warten.
    Indessen klärte sich ungefragt das Rätsel der Vorhänge ringsum; Cinna wurde am dritten Tag in eine der dahinter befindlichen Nischen gebettet. Obwohl sie den Vorhang immer ein wenig offen stehen ließen, war er so von den alltäglichen Besorgungen der Barbaren abgeschirmt, doch zugleich sich selbst überlassen, seiner Ungeduld und der schleichenden Langeweile ebenso ausgeliefert wie den wiederkehrenden Albträumen.
    Er hungerte nach dem langweiligen Lagerdienst, nach der Sicherheit von Mauer, Wall und Graben, der Wärme seines Häuschens, das ihm weitläufig und komfortabel erschien angesichts dieser Hütte. Er träumte von Rom, der marmorreichen, farbenprächtigen, im Sonnenlicht glänzenden Stadt der sieben Hügel, die überragt wurde von den Heiligtümern des Capitolinus, den Villen auf dem Palatinus, durchflossen vom Tiber, an dessen Ufern sich wie Perlen die schattigen Lustgärten reihten, Orte rauschender Feste, durchweht vom Duft nach Rosen und Myrrhe, den die Schönheiten aus aller Welt in ihren schwebenden Schleiergewändern verströmten. Er träumte vom väterlichen Landgut, vom weiten, fruchtbaren umbrischen Hügelland mit seinen Dörfern aus geduckten, eng aneinander geschmiegten weißen Häuschen mit leuchtend roten Ziegeldächern, zwischen denen schwarze Zypressen aufragten.
    Die Erinnerung schnürte ihm die Kehle zu. Als er die Augen aufschlug, stand vor ihm, gleich neben dem Herd, ein Mädchen, das ihn musterte. Über ihrem Arm hing eine Puppe, die ihre Glieder starr von sich streckte und

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