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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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gelobt hatte für heimliche Stunden mit Calpurnia. Beistand war nicht zu erwarten.
    *
    Der Wind fauchte durch das Dach, zerriss die Wolken, so dass das Sonnenlicht in der Giebelluke aufblitzte. Cinna rappelte sich auf, warf sich die wärmste Decke wie einen Mantel um und humpelte in den Flur hinaus, wo eine Böe durch sein Haar fuhr und die Trübsal wegblies. Als er die niedrige Haustür öffnete, blinzelte er geblendet ins Licht. Die Magd war ihm nachgelaufen und ließ neben ihm etwas fallen, ein Paar dunkler Bundschuhe, auf die sie mit dem Finger wies.
    Vor ihm erstreckte sich der Hof, der sich während der Regenfälle in Morast verwandelt hatte, gesprenkelt mit glitzernden Pfützen und begrenzt von zwei oder drei Schuppen, die auf Stelzen errichtet worden waren. Dahinter erhob sich ein Knüppelzaun aus übermannshohen, dünnen Baumstämmen, den einzelne moosbewachsene Giebel überragten. Auf der Koppel am anderen Ende des Platzes grasten Pferde und Kühe. Das Laub der knorrigen Apfelbäume war dürr geworden, einzelne Blätter segelten im Wind, der Cinnas Gesicht streichelte.
    Er entdeckte eine Bank bei den Bäumen, auf der er sich niederließ und die matte Wärme der Sonne genoss, während zerrissene Wölken über den Himmel trieben wie Schiffe nach einer Seeschlacht. Ein stämmiger Rothaariger rieb ein großes dunkles Pferd trocken, das den Kopf hängen ließ. Menschen eilten geschäftig umher, nutzten wohl einen der letzten Tage, an denen man irgendeine Ernte einbringen konnte. Abschätzig musterte Cinna das Haus, in dem er gelegen hatte. Die Heimstatt des Herrn über drei cheruskische Gaue westlich des Visurgis war kaum mehr als eine riesige Hütte mit tief heruntergezogenem Strohdach.
    Der ältere Sohn der Herrin, Inguhraban, den alle nur Hraban riefen, spähte über den Hof, ehe er zielstrebig auf Cinna zuging und ihn zu sich winkte mit einer Geste, die Widerspruch verbat. Doch Cinna war nicht danach, diesen Leuten zu gehorchen, er blieb trotzig sitzen und rieb sich das inzwischen unangenehm bärtige Kinn, während er Hraban entgegenblickte.
    Kaum hatte Hraban ihn jedoch erreicht, packte er ihn und zog ihn auf die Füße, schob ihn schweigend in Richtung des Tores, dessen Flügel weit offen standen. Sie traten auf einen ausgetretenen Weg hinaus, flankiert von Zäunen und Hecken. Ringsum ragten die Giebel weiterer Häuser mit tief herunterreichenden Dächern auf. Verborgene Winkel spien Menschen aus, Männer, Weiber und Kinder in abgetragenen und schmutzigen Kitteln, die den Weg hinuntereilten, ohne Cinna aus den Augen zu lassen. Auf einer Bank kauerte eine zahnlose Greisin, schälte Äpfel und stierte ihn böse an. Hinter einem Holunderbusch reihten sich vier hämisch grinsende Kindergesichter übereinander, Rangen unbestimmbaren Geschlechts, einige langmähnig, andere geschoren, die Lippen schalkhaft zusammengepresst. Als Hraban durch die Zähne pfiff, stoben sie kreischend voraus dem Wall entgegen, der sich vor ihnen erhob, gekrönt von einer festen Brustwehr. Das massige Tor, das sich in dieser Mauer auftat, führte auf einen grasbewachsenen Hang.
    Auf einem breiten Weg folgten sie den Leuten zu einem Wald hinunter, dessen Grün golden und dunkelrot gesprenkelt war. Eine der kleinen, mageren Kühe hob den Kopf über das kniehohe Gras, ohne im Kauen innezuhalten, und glotzte die Vorübergehenden an; ein zweiter Rinderschädel tauchte auf, wandte sich ihnen zu. Späte Schwalben schossen dicht über der Erde dahin, und im Tal rauschte ein Fluss.
     
    Hraban bog in einen schmalen Pfad ein, der zu einem gewaltigen Baumriesen führte, einer Esche, deren herrliche Krone den Wald am Fuße des Hügels überschattete. Cinna schluckte. Die Wilden versammelten sich dort und reckten die Hälse nach ihm, während Hraban ihn unnachgiebig vorwärts zwang. Cinna konnte keinen ausreichenden Widerstand leisten. Nicht gegen den Zug der Hand, nicht gegen das unsichtbare Gewicht, das seinen Nacken beugte.
    Barfuß und schmutzig scharten sich die Wilden auf dem kleinen Platz vor der Esche, die Männer in Hosen und lose gegürteten Hemden, die Weiber in Kleidern oder Röcken, über denen sie verschmierte Kittel trugen. Ein verschrumpelter Kerl, aus dessen lippenlosem Mund vereinzelte schwarze Zahnstümpfe ragten, sah ihn müde an. Der Kreis öffnete sich und gab den Blick frei auf einen mit reichen Schnitzereien geschmückten Stuhl, der sogar in Cinnas Augen eine wahre Kostbarkeit darstellte. Darin lümmelte sich eine

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