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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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nur nach dem jungen Fleisch gierte.
    Er schlug die Augen auf, fand sich in vollkommener Dunkelheit, und Sunjas Atem flog sacht an seinem Hals entlang. Da war Abscheu in ihm, ein Anflug von Zorn, aber nicht die harte, kalte Faust, die er sonst spürte; eine Wunde hatte sich geschlossen, das dunkle Mal war verschwunden. Die Angst davor, jemandem den Rücken zuzuwenden.
    *
    Die Pferde standen gezäumt und gesattelt auf dem Hof, bewacht von Hrabans Begleitern, zwanzig gewappneten Kriegern unter Waihtis’ Führung. Inguiomers hatte Saldir bereits aufs Pferd geholfen und hielt seinen Braunen und Cinnas grauen Hengst am Zügel, das Gesicht ebenso maskenhaft wie die anderen Krieger – nur wer ihn kannte, ahnte, dass er vor Stolz und Tatendrang strotzte. Cinna vermutete, dass es die Nasenspitze war, die untrüglich zeigte, was der Junge dachte, als er lächelnd an ihm vorbeischritt und anerkennend nickte, was Inguiomers schier wachsen ließ.
    Segestes hatte es sich nicht nehmen lassen, sie leutselig zu verabschieden, und gesellte ein weiteres Muli zu ihren Lasttieren, bepackt mit einem Zelt und Vorräten sowie Kleidung für Sunja. Die Gabe wurde feierlich abgelehnt und aufgedrängt, Segestes sonnte sich in Dankbarkeit und erteilte gute Ratschläge, bedauerte den vorzeitigen Aufbruch, den er selbst deutlich angeregt hatte. Schmollend umarmte Thiudasnelda ihre große Freundin, und als sie sich von dieser löste, rollten dicke Tränen über ihre Wangen. Ihre Augen verrieten, was sie davon hielt, bei einem einsamen Vater und ein paar Knechten und Mägden zurückgelassen zu werden.
    Ein letztes Mal wiederholte Segestes seinen Vorschlag, für den er nur einen fragenden Blick erntete; dann trug er Cinna Empfehlungen an Tiberius auf, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass eine ehemalige Geisel dem höchsten Befehlshaber des römischen Heeres, dem zweitmächtigsten Mann des Imperiums vorgestellt werden würde. Zumindest war es wahrscheinlich, dass Cinna den Legaten Asprenas, seinen früheren vorgesetzten Offizier, wiedersehen würde, um ihm den Ring zurückzugeben.
    Sie kamen nur langsam voran; ein Trupp berittener Krieger hätte die Strecke mühelos hinter sich gebracht, doch das Mädchen und die Frau hatten nicht die nötige Übung im Sattel. Sunja war durch den Rock behindert, sie musste seitwärts auf dem Pferd sitzen, um den Männern keinen unschicklichen Anblick zu bieten. Als sie am Abend ein Lager bereitet hatten, wickelte sie sich, ohne ein Nachtmahl eingenommen zu haben, in eine Decke und schlief sofort ein. Saldir hingegen hockte neben Cinna am Feuer und kaute auf einem harten Fladen und Speck, während sie trübselig in die Flammen starrte. Die beiden folgenden Tage würden die letzten sein, an denen sie zusammen waren, murmelte sie immer wieder über das Brot hinweg, und Cinna zauste sie dann sanft.
    Indes erzählte Hraban von der Verwirrung, die Cinnas Flucht ausgelöst hatte. Dass Liuba und Daguvalda nach einem Schreckmoment die Verfolgung hatten aufnehmen wollen, während er selbst und Inguiotar darauf gedrängt hätten, zuerst zu erfahren, was eigentlich vorgehe. Dass Waihtis sich Liuba in den Weg gestellt habe, als dieser den Kriegern seines Vaters befahl aufzusitzen. So habe er ohne eigene Männer aufbrechen müssen, nachdem Daguvalda bereits mit ein paar Männern davongeritten war. Dann sei Dagumers zu harten Vorwürfen übergegangen, habe gedroht, er werde hohe Entschädigungen für die gestohlenen Pferde fordern, dazu den Kopf des Diebes, und verlangt, dass Inguiotar ihm seine jüngste Tochter als Geisel übergebe, was dieser natürlich rundweg abgelehnt habe. Daraufhin habe Dagumers wilde Verwünschungen ausgestoßen, aber angesichts der Übermacht von Inguiotars Männern einen Kampf vermieden. Gegen Abend seien die Verfolger zurückgekehrt, zusammen mit Dagumers und dem Rest seiner Männer des Ortes verwiesen worden und unter Flüchen und Drohungen abgezogen.
    »Und Liuba blieb bei euch?«, staunte Cinna.
    »Nicht lange«, erwiderte Hraban seufzend. »Vater stellte ihn zur Rede, fuhr ihn vor aller Augen an, was für Intrigen er gesponnen habe. Wie sein feiner Gefolgsherr, der seine selbst gewählten Herren nach Strich und Faden hintergangen habe, so habe er den eigenen Vater betrogen, das Vertrauen seines Bruders missbraucht, seine Schwester benutzt und eine Fehde heraufbeschworen. Liuba verteidigte sich damit, dass es keine Fehde gäbe, wenn alles so geschehen wäre, wie er es geplant hatte. Da kam

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