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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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einen Bruder zu haben.
    *
    Sie erreichten den Rand des Cheruskerlandes am dritten Tag, an dem sie einer engen Flussschleife in einen Talkessel folgten, von beiden Seiten flankiert von dunkel bewaldeten Hängen. Bäche sprangen durch enge Einschnitte in die Aue, deren sumpfiger Grund unwegsam war. Sie waren den Äckern einer Inguiotar nicht freundlich gesinnten Sippe ausgewichen, hielten sich jenseits des Flusses und errichteten auf einem flachen Wiesenhang ein Lager für die Nacht.
    Vor Tagesanbruch brach Hraban mit Waihtis und einer kleinen Eskorte auf, weil es ihm zu gefährlich erschien, das Gebiet der Chatten ohne förmliche Ankündigung zu betreten. Die Gerüchte waren sicherlich bereits bis hierher vorgedrungen, und nicht jeder Dorfherr begrüßte es, Verfolgte durch sein Gebiet ziehen zu sehen.
    Die flach über dem Gras dahinschießenden Schwalben und das nervöse Lärmen der Vögel in den Bäumen verhießen Sturm und Regen. Dicke, graue Wolken wälzten sich von Westen her über die Berge. Die zusammengekoppelten Pferde tänzelten, als die ersten scharfen Böen sie umpfiffen. Cinna hoffte, Hraban würde zurückkehren, bevor das Unwetter sie erreichte.
    Ein hohes, melodisches Wiehern warnte ihn, die Pferde standen plötzlich still und spitzten die Ohren, witterten. Er hätte die Unruhe unter den Tieren gerne auf das Rauschen der Blätter, den Wind, die ersten peitschenden Regentropfen geschoben, doch als einer der Späher wild gestikulierend aus dem Dickicht brach, zerstob die trügerische Hoffnung. Die Verfolger hatten sie aufgespürt und eingeholt und würden zweifellos die Gelegenheit nutzen, sie zu stellen. Bei dem Gedanken, dass Sunja und Saldir zum Bach hinuntergegangen waren, um frisches Wasser zu beschaffen, und er Inguiomers geheißen hatte, auf seine Schwestern aufzupassen, fröstelte ihn; der harmlose Auftrag, den der Junge nur widerwillig befolgt hatte, könnte sich als unerfüllbar erweisen.
    Zwei, drei scharfe Befehle ließen die Krieger zu den Waffen greifen und am höchsten Punkt des Lagers zusammenlaufen. Sie waren zu wenige, als dass sie einen Mann erübrigen konnten, um ihn Inguiomers nachzuschicken. Vielleicht waren die drei dort unten auch sicherer. Cinna hoffte darauf, dass Inguiomers klug genug war, sich beim Ausbruch eines Kampfes mit seinen Schwestern zu verstecken.
    Während Cinna das schwere Kettenhemd überstreifte, das sich in Hrabans Gepäck befand, berichtete der Späher keuchend, dass die Verfolger ausschwärmten, als hätten sie es gar nicht eilig. Der Helm, den Cinna aus einer geräumigen Tasche ans Licht förderte, ließ seinen Atem stocken; es war sein eigener, den Liuba als Beutestück an sich genommen hatte. Auch das Kettenhemd wies Kampfspuren auf, die ihn alarmierten. Er fand seinen Gürtel, seinen Dolch, sein Schwert und beeilte sich, alles anzulegen, setzte schließlich den Helm auf, dessen Gewicht einen seltsam befreienden Druck ausübte.
    Er hastete zu den Pferden, befahl die Hälfte der Krieger zu sich, hieß sie aufsitzen, als er mit der Hilfe des Spähers auf den Grauen sprang. Das Heulen des Sturmes verschluckte seine Rufe. Während die Gegner sich abgesprochen hatten, mussten diese zweiundzwanzig Krieger eine unbefestigte Stellung unvorbereitet halten.
    Eine Salve von Pfeilen ging aus dem Dickicht auf sie nieder, zwang die Krieger hinter ihre Schilde, die zweite Salve trieb die Reiter auseinander. Cinnas Grauer bäumte sich auf, als er ihn zurück in die eigenen Reihen lenkte – keinen Augenblick zu früh. Denn schon brachen Krieger aus dem Gebüsch, ihr Gebrüll dröhnte über das Toben des Windes hinweg. Cinna musste keinen weiteren Befehl geben, die eigenen Männer stürzten sich auf die Gegner, hielten tapfer die Linie, stemmten sich gegen den Feind.
    Von zwei Seiten preschten Reiter gegen die Kämpfenden. Das war es, worauf Cinna gewartet hatte. Mit einem Schrei hetzte er sein Pferd auf eine der beiden Gruppen, gefolgt von Mitstreitern. Holz schlug auf Holz, Eisen krachte. Schreie übertönten das Wiehern der Pferde. Der Graue warf sich auf eines der Pferde, dass sein Mähnenkamm in Cinnas Gesicht schlug, ihn lähmte. Blind stach Cinna mit dem Schwert auf den Schatten ein, der auf ihn zufuhr. Die Klinge rutschte über einen Schild. Der Gegner tauchte weg.
    Cinna fuhr zusammen, als er den hellen Ruf hörte, erkannte am unteren Ende der Lichtung Inguiomers, der dem Feind seine Verachtung ins Gesicht schrie. Hart riss Cinna an den Zügeln, dass der Graue

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