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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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das Mädchen einen Blick über die Schulter zurückwarf, einen unsicheren, einen beunruhigten Blick.

VII
    Gunthis’ Gegenwart schien eine Wandlung in Liubas Herzen zu bewirken. Sein sonst so straffer Gang wurde leichter, federnder, und das Schmunzeln wich nicht aus seinen Mundwinkeln. Dennoch hielt Cinna sich geflissentlich von ihm fern; als er einige Tage nach der Hochzeit beinahe mit dem flüsternden Paar zusammengestoßen wäre, hatte er schnell und unbemerkt das Weite gesucht.
    »Mein lieber Bruder hat es gut getroffen«, meinte Hraban, als er später an diesem Tag von einem Ritt zurückkehrte und Cinna die Zügel seines Fuchses ergriff, ehe er etwas sagen musste. »Hoffen wir, dass es auf der Versammlung keine neuen Überraschungen geben wird.«
    Cinna schoss ihm einen fragenden Blick zu.
    »Ich vergesse immer wieder, dass dir niemand sagt, was vor sich geht«, murmelte Hraban entschuldigend, schwang das Bein über den Hals des Pferdes und glitt auf den Boden. Cinna nahm dem Fuchs das Halfter ab und warf es sich über die Schulter.
    »In zwölf Tagen werden sich einige Fürsten hier einfinden, um über das weitere Vorgehen zu beraten«, berichtete Hraban mit vor der Brust verschränkten Armen. »Badwareiks hat Vater seine Stimme übertragen. Das ist gut, denn es wird unseren Einfluss stärken.«
    Cinna löste den Gurt, der den Sattel festhielt, und zog diesen von dem schweißnassen Pferderücken. Doch anstatt die Sachen über das Gatter zu hängen, verharrte er reglos und sah Hraban schweigend an.
    »Die Fürsten sind sich uneins, wie sie weitermachen sollen«, fuhr Hraban fort. »Es werden neue Legionen in den Standlagern am Rhenus erwartet. Die Chatten im Süden halten Ruhe, aber Marser und Brukterer wollen den Kampf im Frühjahr fortsetzen und über den …« Er stockte. »Verdammt!«
    Cinna verzog das Gesicht zu einem dünnen Grinsen. »Hast du Angst, ich könnte etwas verraten?«
    Hraban zögerte, dann erwiderte er das Lächeln. Cinna warf ihm Sattel und Halfter zu, bevor sich wortlos abwandte und den Fuchs an der Mähne in die Koppel führte.
    Er hatte etwa zehn Schritte zwischen sich und Hraban gelegt, als dieser hinter ihm losprustete; Cinna blieb stehen, um sich langsam umzudrehen. Hraban war ein Stück in Richtung des Hauses gegangen, Sattel und Halfter über den Armen – nun stand er da und schüttelte lachend den Kopf.
    »Du abgefeimter Sohn einer Wölfin!«, rief er und schüttelte das Halfter in der Faust. »Du hast mich reingelegt. Das ist deine Arbeit!«
    Cinna hob leicht die Schultern und ließ sie wieder fallen, ehe er sich umdrehte. Hinter ihm entfernte sich Hrabans Lachen.
    *
    Die ersten der angekündigten Gäste fanden sich schon nach zehn Tagen auf Inguiotars Hof ein; ein junger, stolzer Krieger erschien mit einem kleinen Gefolge aus dem Tal, wurde überschwänglich begrüßt und schlug ein großes Lederzelt am Rande des Hofes auf. Mit scheinbar teilnahmslosem Interesse verfolgte der Fremde die Wege des Gefangenen, dem unter diesem Blick schlagartig klar wurde, dass er als Geisel angesehen wurde, als Faustpfand. Auch wenn die Heeresleitung bislang alle Verhandlungen abgelehnt hatte, waren sie sich offenbar sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Feind einlenken würde. Schließlich versorgte die lange Haft den Gefangenen mit Kenntnissen, die für die Legaten und Tribunen auf der anderen Seite des Rhenus von wachsendem Wert waren.
    Eben diese Gefahr schien Inguiotar durchaus bewusst zu sein, denn Cinna sah sich beständig von Haus und Hof fern gehalten, beschäftigt mit allerlei Arbeit außerhalb des Dorfes, so dass ihm diese Wege sehr bald vertrauter wurden, als ihm lieb war.
    Die Zahl der mit Lanzen, Speeren und Schilden geschmückten Zelte wuchs. Die Herren trafen sich zu Beratungen auf Inguiotars Ratsplatz unter der Esche und in seinem Haus. Cinna wurde im Haus des Fischers Godareths untergebracht, dessen Frau ihn mit unverhohlener Feindseligkeit behandelte. Der Wachposten, der sich vor dem Haus aufpflanzte, strafte jede Hoffnung Lügen, den scheelen Blicken des alten Weibes zu entkommen. Die Tischabfälle, mit denen sie den unerwünschten Gast trotz der Ermahnungen ihres Mannes abspeiste, verfütterte Cinna heimlich an ihr mageres Schwein.
     
    Am dritten Tag brachten ihn zwei wortkarge Krieger zu Inguiotars Anwesen zurück, wo sie sich mit ihm in der Nähe der Haustür aufstellten, kaum zwei Schritte entfernt von den Waffen der Gäste, die vor dem Haus niedergelegt

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