Der Tribun
worden waren. Ein Rundschild mit bronzenem Buckel, um den sich ein von Spießen durchbohrter Hirsch im Todeskampf krümmte, fesselte Cinnas Aufmerksamkeit; während die Stimmen der Versammelten gedämpft aus dem Haus drangen, verfolgte er die verschlungenen Linien des Bildes. Schließlich traten Inguiotar und seine Söhne heraus, gefolgt von weiteren prachtvoll gewandeten Herren, die Cinna die Sicht versperrten. Der letzte Mann, der das Haus verließ, blieb fast unsichtbar für ihn, und da er nicht übermäßig neugierig wirken wollte, erhaschte er nur flüchtige Blicke auf rötlich schimmerndes Haar, das dieser Mann kurz trug wie ein Römer, und einen sorgfältig gestutzten Bart.
Inguiotar begegnete diesem Mann weitaus respektvoller als allen anderen. Die Splitter dessen, was er sah und hörte, wollten sich zu einem Mosaik formen, eine Ahnung stieg in Cinna auf, Zuversicht. Sie hatten ihn nicht gefesselt. Sie hatten ihn in ihre Reihen geholt. Sie schienen es nicht darauf abgesehen zu haben, ihn zu drangsalieren. Übermütig reckte er den Hals und erkannte das Gesicht des Mannes. Er war ihm vor vielen Monaten begegnet, zu Beginn des Frühjahrs, in dem Haus, in dem Publius Quinctilius Varus im vergangenen Winter Hof gehalten hatte. Der Legat des Augustus selbst hatte ihm den rothaarigen Offizier vorgestellt, Iulius Arminius, wenn er sich recht erinnerte; im Rang eines Tribunen befehligte er eine Ala cheruskischer Reiter, eine unter Tiberius ausgehobene Hilfstruppe. Cherusker von Geburt, doch als Geisel in römischem Gewahrsam erzogen, hatte Arminius sich, wie schon sein Vater, als treuer Gefolgsmann erwiesen, war als römischer Bürger zum Offizier aufgestiegen. Unter Tiberius’ Befehl hatte er Aufstände zerschlagen und Dörfer niedergebrannt, Ackerland verwüstet und gegnerische Stellungen dem Erdboden gleichgemacht und so nicht nur in den Provinzen das Vertrauen der Heeresleitung bis in die höchsten Ränge erworben; eine ansehnliche Kriegsbeute hatte ihm sogar den Aufstieg in den Ritterstand ermöglicht. So vertraut, wie Varus mit ihm umging, war er dessen Freund und besonderer Schützling gewesen, und auch diese barbarischen Edlen zollten dem Mann in ihrer Mitte höchste Ehrerbietung.
Ein jäher Stoß warf Cinna auf Knie und Hände. Ein Fuß in seinem Genick zwang ihn, in dieser Haltung zu verharren. Angestrengt versuchte er, den Blick zu dem Offizierskollegen zu heben, vor dem die übrigen Männer zur Seite wichen. Ohne Begreifen vertraute Cinna darauf, dass dies zu irgendwelchen barbarischen Gepflogenheiten gehören müsse, das Vorspiel zu seiner Befreiung, vertraute darauf, der Mann, der nun vor ihm stand und die Daumen unter den Gürtel schob, würde ihm im nächsten Augenblick die Hand reichen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.
»Deine Frau ist eine tüchtige Heilerin«, sagte der Mann anerkennend. »Ich hörte, dass nicht viel von ihm übrig war, als dein Sohn ihn hierher brachte.«
Während Inguiotar für die Empfehlung dankte, stemmte Cinna sich gegen den Fuß, der ihn zu Boden drückte, erzwang einen Blick auf das teilnahmslos erscheinende Gesicht des Mannes, der ihn aus erschreckend wachen Augen musterte. Ungläubiges Staunen lähmte Cinna, als Arminius nach der Verfassung des Gefangenen fragte; denn nicht er war der Angesprochene, wie der Griff in seinen Nacken verriet, sondern Inguiotar.
»Stark ist er nicht«, erwiderte dieser, »aber zäh.«
Ein grausames Spiel schienen die Barbaren ausgeheckt zu haben, als wollten sie ihm ihre Macht verdeutlichen, ohne darüber nachzudenken, was ein einziges Wort von ihm an richtiger Stelle bewirken konnte. Sie würden ihm eine stattliche Wiedergutmachung bieten müssen, das hochgewachsene Mädchen mit dem goldglänzenden Haar, das er fordern würde, beizeiten, im rechten Augenblick, sobald er wieder im Vollbesitz von Bürgerrecht und Amt wäre. Und Arminius würde er diesen schlechten Scherz schon noch heimzahlen.
Es war ein flüchtiger, achtloser Wink, der das Hochgefühl auslöschte. Der römische Ritter Arminius drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ gemeinsam mit den übrigen Gästen den Platz. Inguiotar und seine älteren Söhne folgten ihm, während Cinna von seinen Bewachern gepackt und quer über den Hof geschleift wurde.
Die Kerle brachten ihn hinunter zu Inguiotars Ratsplatz unter der weit ausladenden Esche, aus deren Schatten ihm die versammelten Edlen entgegenblickten, Herren in weißen Hosen und Hemden, bunt gesäumten
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