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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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in das erfrischende Nass. Margio, der unter den Weiden zurückgeblieben war, schüttelte gelegentlich den Kopf, während er Cinna dabei beobachtete, wie er mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen den See durchpflügte.
    Vergeblich hatte Cinna Margio ermuntert, ins Wasser zu kommen, bevor er aus dessen Gesten erkannte, dass der Knecht nicht schwimmen konnte. Kopfschmerz und Übelkeit waren wie weggeblasen und das Blut strömte warm unter der Haut, als er schließlich zum Ufer zurückkehrte, wo Margio zwischen den eigenwillig aus dem Boden ragenden Wurzeln einer uralten Weide hockte und döste.
    Während die Pferde am Ufer grasten, genoss Cinna die Wärme der Sonnenstrahlen auf dem baufälligen Steg, bis leise Stimmen seine Aufmerksamkeit erregten. Er richtete sich auf und lauschte. Die dicht stehenden Bäume konnten Sunjas geübte Stimme nicht dämpfen; sie sang eine der endlosen Balladen, welche die Taten eines Helden preisen, doch der zitternde Unterton trug die trotzige Freude der Worte nicht.
    Mit einem sachten Stoß vergewisserte sich Cinna, dass Margio schlief, schlüpfte durch das Dickicht und folgte dem Gesang, der erstarb, bevor er das Mädchen erreichte. Dann hörte er Thauris sprechen, ruhig, beschwichtigend, begleitet von unterdrücktem Schluchzen. Sunja lehnte mit hängenden Schultern an einem Baumstamm, neben ihr Thauris, die einen Arm um sie gelegt hatte. Mühsam reimte sich Cinna zusammen, was Thauris zu ihrer Tochter sagte, dass der Kummer ihre Seele schwäche, dass sie sie nicht trösten dürfe, weil Trost sie noch mehr in ihrem unseligen Jammer verschließen würde. Zögernd folgte Sunja der Hand der Mutter, die sie dazu brachte, sich auf dem weichen Waldboden niederzulassen.
    »Warum hat er sich dem Wolfsbund geweiht?«, würgte das Mädchen hervor. »Warum er?«
    »Vielleicht hat er die Zeichen nicht erkannt«, sagte Thauris so leise, dass der heimliche Lauscher sie kaum verstand. Sie machte eine lange Pause, in der sie das im Herbstlicht goldglänzende Haar der Tochter streichelte. »Solche Dinge geschehen.«
    Hinter seinem Busch hielt Cinna den Atem an, sah Sunja den Kopf heben und ihr verstörtes Gesicht der Mutter zuwenden.
    »Wie hat er das übersehen können? Wir sprachen schon von gemeinsamen Tagen!«
    »Vielleicht hielt er es nicht für ernsthaft genug?« Und die Tochter zärtlich umschlingend, fügte sie hinzu: »Es ist nicht deshalb geschehen, weil du etwas Falsches getan hast, sondern weil ein anderer Wunsch in ihm stärker war. Harjawakrs liebt die Ehre mehr als dich. Er kann nicht leben, ohne zu kämpfen.«
    Das Mädchen schwieg trotzig.
    »Sunja – mein Kind, es ist gut so, wie es ist.« Thauris liebkoste das Mädchen, das steif und mit hochgezogenen Schultern auf dem Moosteppich kauerte und die Knie umschlungen hatte mit den Armen, die Cinna am vergangenen Abend unverhofft an seinem Hals und um seine Schultern gespürt hatte. Er glaubte, wieder die Wärme ihrer Haut zu fühlen, und schloss einen Atemzug lang die Augen.
    Nachdem Sunja sich lange nicht gerührt und vor sich hin gestarrt hatte, nickte sie ergeben. Zerstreut nagte Cinna an seiner Unterlippe, während er beobachtete, wie Thauris sich aufrichtete und ihrer Tochter die Hand reichte, damit sie es ihr gleichtue. Vielleicht könnte es gelingen, die Lücke, die dieser stolze Krieger in ihrer Seele hinterlassen hatte, zu füllen – falls er einen Weg zu ihr fand.
    Ein Rascheln zerstörte seine Überlegungen, herumfahrend erkannte er Margios Züge, ungewohnt finster. Er wedelte abwehrend mit beiden Händen, doch Margio stürzte sich auf ihn, warf ihn rücklings ins Gestrüpp, wo sich das Gewicht des Sklaven auszahlte, als er Cinna festhielt wie ein bösartiges Kind.
    »Auseinander!«
    Thauris’ sich vor Wut überschlagende Stimme ließ die beiden Streithähne sofort innehalten. Margio erhob sich und wich zurück, als Thauris, die Fäuste in die Seiten gestemmt, sie abwechselnd anfunkelte.
    »Es ist nichts«, murmelte er. »Wir haben gerauft – nichts weiter.«
    In den Augen der Herrin blitzte Argwohn auf, als sie sie auf Cinna richtete, der schwer atmend und mit heißen Wangen im Dickicht kauerte.
    »Ich will dir glauben, Margio. Jetzt macht, dass ihr an die Arbeit kommt!«
    Sich abwendend, ergriff sie den Arm ihrer Tochter und schob sie mit sich fort. Ohne die Augen von dem schlanken Rücken zu lassen, über den ein langer, dicker, weizengelber Zopf fiel, richtete Cinna sich auf, klopfte den Schmutz von Hemd und Hose, als

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