Der Tribun
bereits umgedreht und ging wortlos davon.
*
Morgens, wenn Cinna vom See zurückkehrte, führte ihn sein erster Gang zum Brunnen. Der Geruch nach Fisch haftete nicht nur an den Binden, mit denen er die Hände vor der Kälte zu schützen versuchte, sondern auch an der Haut. Selbst wenn er, wie Godareths, Hände und Arme im Ufer lehm abrieb und schrubbte, trotzte dieser Geruch hartnäckig allen Bemühungen. Stand er dann am Brunnen, um das Gesicht mit einem letzten eisigen Guss abzufrischen, fiel sein Blick auf Inguiotars Söhne, die sich hinter der Linde im Umgang mit Lanze, Schwert und Schild übten, zu Fuß oder manchmal auch zu Pferd.
Das Kampftraining, das Liuba beinahe täglich mit seinen Brüdern durchführte, hatte Cinnas Interesse geweckt. Anfangs hatte er die Scheingefechte für kunstlose barbarische Geplänkel gehalten und tunlichst unbeachtet gelassen, allein um nicht Liubas Wege zu kreuzen. Doch Liuba war ein eindrucksvoller Fechter, der sich mit der trägen Eleganz einer Raubkatze über den abgesteckten Platz bewegte, und er beherrschte zahllose Finten, die er geschickt zu tarnen wusste, was Cinna wider Willen Bewunderung abverlangte. Insgeheim bedauerte er Hraban, der sich gegen Liuba geradezu unbeholfen ausnahm und manch schmerzhaften Schlag der hölzernen Übungswaffen einstecken musste, wenn er nicht sogar strauchelte und zu Boden ging.
Liuba erwiderte Cinnas Aufmerksamkeit mit höhnischen Drohgebärden, und nichts schien ihm besser zu gefallen, als gerade dann seine Überlegenheit herauszustellen, wenn er sich beobachtet wusste.
Mit verzerrtem Gesicht rieb Hraban die getroffene Flanke und atmete vernehmlich durch die Zähne, als er den Brunnen erreichte. Ungefragt brachte Cinna ihm Wasser, und als Hraban den Inhalt des Bechers hinunterstürzte, lüftete Cinna sein Hemd und betrachtete die Verletzung.
»Nichts Schlimmes«, murmelte er. »Warum gibst du eigentlich ständig deine Deckung auf?«
Hraban fuhr herum. »Wovon redest du?«
»Davon, dass du den Schwertarm im Angriff hochnimmst und so deinem Gegner ein hübsches Ziel bietest.«
»Und wie soll ich das vermeiden?«, blaffte Hraban.
Grinsend zwinkerte Cinna ihm zu. »Indem du dich andersherum drehst, die rechte Schulter hinten hältst. Bleib hinter dem Schild und suche die Lücke in seiner Deckung.«
»Das ist nicht dein Ernst! Ich müsste viel dichter an ihn heran.«
»Gut so. Damit rechnet er nicht.« Cinna wies auf sein rechtes Schlüsselbein. »Das ist seine verwundbare Stelle – aber pass auf, dass du ihn nicht zu hart triffst. Sogar mit diesem Ding kannst du einen Mann ernsthaft verletzen.«
Ehe Hraban antworten konnte, wandte Cinna sich ab und machte sich auf den Weg zur Koppel.
Von seinem Beobachtungsposten hinter dem Gatter verfolgte er jede Bewegung der beiden Kämpfer, und hoffte, dass Hraban klug genug wäre, nicht den ersten Schritt zu tun. Träge wechselte Liuba von einem Fuß auf den anderen, erwartete den Angriff seines Gegners wie ein libyscher Löwe, der einem einzelnen Jäger gegenübersteht. Hraban schritt langsam rückwärts um seinen Bruder herum, leicht vorgebeugt, und schien zu lauern, derweil Liuba sein feines, überlegenes Lächeln zur Schau trug.
Plötzlich schlug Hraban zu, traf Liubas Schild – und deckte seine Schulter gerade noch rechtzeitig vor dem harten Schlag des Holzschwertes. Ihre Schilde polterten gegeneinander. Er war Liuba näher als je zuvor in einem Kampf. Und dann blitzte die Haut weiß auf. Er stieß zu.
Liuba schrie, er riss den Schild herum und schlug damit Hrabans Schwert beiseite. Ein, zwei Schritte wich er zurück und fing an zu lachen.
»Nicht schlecht, Kleiner! Bist du von alleine darauf gekommen?«
Zögernd richtete Hraban sich auf und ließ die Waffen sinken, als Liuba den Schild absetzte, um die getroffene Stelle tastend zu untersuchen.
»Bist du verletzt?«
»Nichts Schlimmes, nur ein blauer Fleck.« Liuba grinste breit. »Ich werde nächstens besser aufpassen.«
»Machen wir weiter?«
»Damit du diesen Trick noch ein bisschen üben kannst?«, lachte Liuba. »Nein, für heute ist es genug. Du sollst auch einmal mit einem kleinen Sieg vom Platz gehen.«
*
Sonnwend. Wie ein Zauber hellte dieses Wort die Gesichter der Menschen auf. An frostfreien Tagen tropften die dicken Eiszapfen, die von den Dächern und Zweigen hingen, und unter tief hängenden Wolken wusch der Regen schmutzige Schneereste vom Hang. Der Hof verwandelte sich in glitschigen Morast; über die Wege
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