Der Tribun
sprangen Bäche und schwemmten grauen Schlamm ins Tal hinunter, wo der kleine Fluss sich über die Ufer wälzte, wobei er der Straße gefährlich nahe kam.
Nur mit Mühe trieben einige Männer mit ihren Hunden eine Herde junger Färsen und Schweine ins Dorf. Inguiotars Kühe fanden Platz auf der Pferdekoppel, während die Bauern im Dorf das Vieh in ihren Häusern unterbrachten. Für die Schweine wurde ein niedriger Stall hinter der Koppel hergerichtet. Ihr Schicksal war ohnehin besiegelt.
Sonnwend. In den nasskalten, von Schneeregen durchstürmten Tagen vor dieser Nacht suchten die Dörfler die Haine auf; einige begnügten sich mit einem winzigen eingezäunten Platz am Rande des Dorfes, andere wanderten zu dem weiter entfernten Quellheiligtum. Am Sonnwendtag pilgerte Inguiotars Familie mit allen Bewohnern des Dorfes zum See hinunter, wo man den roh geschnitzten Götterbildern Gaben darbrachte, Speisen und Getränke, sogar Münzen. Ahtareths schlachtete auf dem Felsen, der schon Cinnas Blut getrunken hatte, eine Gans und besprengte die ins Gebet versunkenen Anwesenden mit dem Blut. In bedrücktem Schweigen kehrten sie in den Schutz der Mauern zurück, als stünde das Ende der Welt bevor.
Den Einbruch der Nacht verbrachten Inguiotar und seine Leute im Haus bei Ahtareths’ eintönigem Singsang, der an die Gesänge der Isispriester während ihrer freudlosen Fastenzeit erinnerte. Fast das ganze Dorf drängte sich in dem von flackernden Spänen erleuchteten Raum, während eine weiß gekleidete ältere Frau dem Priester bei seiner Zeremonie zur Hand ging. Wieder wurden frisch geschnitzte und mit kantigen Zeichen versehene Stäbe auf weißes Leinen geworfen, das mit Blut gezeichnet war, einzelne davon ausgewählt und in unverständlichen Versen gedeutet. Die Nachrichten bewirkten Erleichterung, und Thauris ließ Körbe und Schüsseln mit Speisen hereinbringen, Speck und Braten und, als besondere Köstlichkeit, einige frische Brote und Honigkuchen.
Rings um den Herd hatten sich Liubas Krieger, Männer aus dem Dorf und der weiteren Umgebung, auf Teppichen und Fellen gelagert und beteten der Reihe nach in wechselnder Tonhöhe die Lebensgeschichten und Heldentaten ihrer Vorfahren herunter. Für jedes Leben weihten sie ihren Kehlen eine Schale gesegnetes Bier und warfen ein Tannenreis in die Flammen, das verglühend seinen herben Duft verbreitete. Inguiomers hockte mit leuchtenden Augen bei seinem Vater und murmelte unermüdlich die heimlich gelernte Litanei. Es war das erste Mal, dass die Männer ihn unter sich duldeten, wie Saldir Cinna am Morgen berichtet hatte.
Stunde um Stunde zerrann. Die Kinder saßen und lagen zwischen den Frauen, versanken allmählich in dämmriges Träumen. Elend vor Erschöpfung ließ Cinna die Erzählungen von längst verstorbenen Heroen über sich ergehen, vorwurfsvoll geweckt, sooft er einnickte. Sein Platz war unter den Unfreien, die ihn schon lange nicht mehr als fremdartig ansahen.
Der Wind heulte auf den Trockenböden als Zeuge der Wilden Schar kriegerischer Geister, zog als frostiger Hauch durch die Hütte, dass das Feuer flackerte und die Haut sich kräuselte, und verstummte schließlich. Tagesanbruch nahte. Ahtareths trat hinaus auf den Hof, gefolgt von Inguiotars Familie und den Gästen aus dem Dorf, bevor sich auch das Gesinde in das frostige Zwielicht wagte. Von Osten breitete sich ein zarter Silberstreif aus, in scheuer Freude als gutes Vorzeichen begrüßt. Wie lange die kalte Zeit auch dauern würde – kein gewaltiger Wolf hatte seine Fesseln gesprengt, um die Sonne zu verschlingen und damit den Winter in endlose, eisige Finsternis zu verwandeln. Thauris besprengte die Anwesenden mit geweihtem Bier und eilte mit einer Schale über den Hof, um auch die Pferde und das übrige Vieh zu segnen.
In der Frühe wurden nach der durchwachten Nacht die Reste aufgetischt, Räucherfisch, Pökelfleisch und Käse, dazu Mus und schrumplige Äpfel, verdünnte Milch, und immer wieder fand die Schale mit dem Feiertagsbier ihren Weg zu Margio, Swintha und Cinna. Nachdem kleine Geschenke ausgetauscht worden waren, wurden Saldir und Inguiomers mit einem Korb voller Leckereien durch das Dorf geschickt. Wehmütig fühlte Cinna sich an die heimatlichen Saturnalien erinnert, die vor einigen Tagen zu Ende gegangen waren, jene Erinnerung an das Goldene Zeitalter, da Friede und Eintracht geherrscht, es weder Herren noch Sklaven gegeben und die Götter sich unter die Menschen gemischt hatten. In der Freude
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