Der Tribun
neu an einem der beiden Schenkel – und verdoppelte die Figur zu einem Quadrat.
»Das ist es!« Sie sprang auf, dass die Zöpfe um ihren Kopf flogen, und riss ihm die Täfelchen aus der Hand. »Danke!«
Sie stob davon, und ehe sie zwischen Haus und Schuppen verschwunden war, rief sie den Namen ihrer Schwester über den Hof, während Cinna sich wunderte, wie diese hübsche Spielerei aus Piatons Schriften einer Barbarin in der Germania zur Kenntnis gelangt sein mochte.
*
Ohne die Augen zu öffnen, langte Cinna hinter sich, schlug unwillig nach dem Urheber des Stoßes, der ihn wecken wollte. Jemand rüttelte an seiner Schulter, bis er aufgebracht herumfuhr, um den Übeltäter, ganz gleich wer es sei, anzuraunzen. Er kam nicht dazu.
Aus der Dunkelheit formten sich Margios feiste Züge, die schlaffen Lippen, die kaum hörbar flüsterten, er solle sich beeilen, vier Pferde müssten für einen weiten Ritt hergerichtet werden. Mühsam streckte Cinna die bleiernen Glieder, um sich aufzusetzen, und nickte abwehrend zu Margios beschwörenden Gesten. Schritte huschten durchs Haus, unterdrückte Rufe ertönten, doch Cinna verspürte nicht den geringsten Wunsch, den Grund für die Aufregung zu erfahren. Schlaftrunken zog er einen zusätzlichen Kittel über den Kopf und rappelte sich auf, um Margio ins Freie zu folgen.
Wattiger Frost umfing ihn an der Tür. Im Zwielicht der Dämmerung erkannte er Inguiotar und dessen ältere Söhne. Bei ihnen stand ein Fremder, wohl ein Bote, schmaler und kleiner als die Männer. Wie sie war er in die schwere Reisekleidung der Barbaren verpackt und trug eine Lederkappe auf dem Kopf. Während Cinna zum Brunnen eilte, um sich zu erfrischen, warf er verstohlene Blicke auf den zierlichen Fremden, der stumm, das Gesicht vom Schatten der Kappe verborgen, unter den Männern dastand wie ein Bild aus einer anderen, heiß ersehnten Welt, deren Erinnerung ihn mit lähmender Wehmut schlug, und der unversehens, als die Männer in Gelächter ausbrachen, hinter rasch vorgehaltener Hand hellauf kicherte.
Die mächtigste Göttin berührte ihn bei Sunjas Anblick in dieser unschicklichen, dabei unvergleichlich anmutigen Kleidung. Der Gürtel, der das Hemd bis über die Hüften raffte, lag loser als sonst, um die verräterische Taille zu verbergen, und betonte doch nur die Schlankheit der Glieder. Der sanfte Schwung ihres Nackens nahm ihm den Atem, und er starrte sie an, ohne zu bemerken, dass er stehen geblieben war, bis Margio fuchtelnd zu ihm zurückhastete und ihn anfuhr, sich zur Koppel zu scheren.
Blind und taub für seine Hände zäumte Cinna die gestriegelten Pferde und untersuchte die Hufe, bevor er die bereitstehenden Taschen und Bündel am Tragegurt des Packtieres befestigte. Er wusste, dass es Sunjas Sachen waren, mit denen er das Tier belud, dass sie weggebracht wurde, und zwar für längere Zeit – vielleicht für immer. In der eisigen Brise, die ihm die Ärmel hinauf und über den Nacken fuhr, erstarrten auch seine eitlen Wünsche und zersprangen zu winzigen Scherben.
Eine Schnalle stach in seine Finger. Mit dem Schmerz loderte ein ohnmächtiger Zorn in ihm auf, der ihm das Herz bis zum Halse schlagen ließ.
»Mach schon«, murrte Margio. »Bring den Rappen raus!«
Widerwillig griff Cinna nach den Zügeln des schläfrigen Pferdes und führte es in die Mitte des Hofes, wo er ungeduldig empfangen wurde. Hraban deutete Cinna an, die Rappstute zu Sunja zu führen, die der inzwischen herbeigeeilten Mutter lauschte.
Thauris ergriff den Stirnschopf des Pferdes, zog den großen Kopf zu sich, um Beschwörungen in die ihr zugewandten, spitzen Ohren zu flüstern, während das Mädchen sich mit Hrabans Hilfe auf den Pferderücken schwang. Eine leichte Berührung, kaum mehr als ein Luftzug und ein Zurückzucken – ihre Hand hatte ihn gestreift, als sie den Pferdehals tätschelte. Sein Blick flog zu ihr auf, sah noch, dass sie sich rasch zu ihren Brüdern umdrehte. Während seine Hände den Sitz von Halfter und Trense prüften, erwachte in ihm der inständige Wunsch, sie möge sich ihm wieder zuwenden, doch erst mit dem verwirrten Zucken ihrer Mundwinkel erkannte er, dass sich dieser Wunsch erfüllt hatte.
Als Sunja den Arm ausstreckte, um den kräftigen Pferdehals zu streicheln, ergriff Cinna ihre Hand. Eine einzelne Locke ringelte sich ihre Wange hinunter, und ihre geweiteten Augen warnten ihn, aber sie überließ ihm reglos ihre Finger, während Thauris’ Gemurmel vorüberrauschte. Fahrig
Weitere Kostenlose Bücher