Der Triumph der Heilerin.indd
stellte sich vorn neben die Ochsen auf die festgefrorene Straße. Sie drehte sich um und sah ihren kleinen Edward an. »Komm mit. Das müssen wir uns gemeinsam ansehen. Nur wir drei. Deborah?«
Auf der langen Fahrt - sie waren seit dem Morgengrauen unterwegs - war auch Deborah eingenickt. Sie lehnte an den Koffern und Truhen, mit denen der zweite Karren beladen war. Erschreckt wachte sie auf, ihr Hennin war über das eine Auge gerutscht, und der Schleier verdeckte ihr die Sicht.
Der kleine Junge kletterte in die Arme seiner Mutter und lachte. »Deborah sieht aber komisch aus!«
»Man lacht nicht über alte Damen, Edward. Das gibt großen Ärger und bringt sieben Jahre Unglück. Sagt ihm das, Mistress.« Aber Deborahs Lächeln straften ihre Worte Lügen. Anne half ihr vom Karren. Die drei Männer, die Mathew Cuttifer ihnen zum Schutz mitgegeben hatte, machten es sich bequem.
Edward kicherte, solche Drohungen hatte er schon öfter gehört. »Sieben Jahre? Pah! Wenn ich sieben bin, bin ich schon groß, und dann jage ich das Unglück davon!« Das siegesgewisse Schwenken des Holzschwerts ließ keinen Zweifel an der Entschlossenheit des kleinen, mannhaften Kriegers. Sogar die beiden schwerfälligen Ochsentreiber Wat und Crispin fielen in das Gelächter der Londoner ein. Die Männer sahen den Knaben glücklich zwischen den beiden Frauen dahinhüpfen, als diese dem Weg zur Lichtung folgten.
Wat Anderson rutschte mit seinen schmerzenden Hinterbacken auf der Sitzbank hin und her und reckte Arme und Schultern. Er stieg gähnend vom Karren und rieb sich die Augen. Crispin stieg ebenfalls von seinem Wagen und stellte sich neben seinen Leitochsen Davey. Ob er die Tiere losmachen sollte, wenn sie hier eine Weile warten mussten? Er kraulte das gleichmütige Tier zwischen den Ohren. »Hungrig, Davey-boy? Ich auch. Gibt's noch was zu essen, Ned?«
Ned war einer der Diener aus Blessing House. Seufzend schwang er ein Bein über den Sattelknauf, sprang ab und stellte sich neben seine Kameraden. »Es gibt noch Bier, aber der Haferkuchen ist schon aufgegessen.«
Er schnürte eine Lederflasche von seinem Zwiesel und drehte sich, die Flasche schwenkend, zu den anderen um. Bier, auch wenn sie sich nur noch eine kleine Flasche teilen konnten, war zum Abschluss der anstrengenden, kalten Reise ein rechtes Vergnügen. Ein ordentlicher Schluck für jeden, mehr war nicht da. Aber im Winter sind die Menschen guten Mutes. In dem großen, alten Haus am Ende der Straße gab es bestimmt noch mehr Bier, viel mehr, ganze Fässer voll. Selbst gebrautes Bier. Und wenn sie Glück hatten, gab es dort auch ein hübsches Schankmädchen. Ein gutes Bier, ein hübsches Gesicht, saubere Hände, die das Bier ausschenkten, und eine gemütliche Küche - mehr verlangten die Männer nicht. Sie stampften mit ihren
Füßen auf, um ihre kalten Zehen aufzuwärmen. Wo blieb die Mistress so lange?
»Es ist niemand da. Alles ist leer. Und so groß.«
Die beiden Frauen und der Knabe starrten eingeschüchtert auf das Haus. Die hohen Mauern waren aus Sandstein gebaut, aber sie waren sehr hoch und mit Türmen und Zinnen versehen. Das Haus war von einem ausgetrockneten Burggraben umgeben - kaum mehr als eine breite Vertiefung mit ein paar Pfützen -, und auf der fensterlosen Vorderseite gab es nur ein paar Schießscharten und zwei mächtige Torflügel.
»Ich dachte, es sei ein Jagdhaus?«
Anne nickte langsam. Deborah hatte recht. Der König hatte ihr erzählt, Herrard Great Hall sei einst ein königliches Jagdschlösschen mit eigenem Revier gewesen. »Ja, das stimmt. Aber ich glaube, früher war es einmal eine Burg.«
Deborah streckte dem Knaben ihre Hand hin. »Dicke Wände sind in diesen Zeiten nicht zu verachten. Komm, Edward, wir machen einen Erkundungsgang.«
Laut schwatzend, um die Stille zu übertönen, nahmen die Frauen Edward an die Hand, rafften ihre Röcke und marschierten über die Zugbrücke, die über den Graben führte. Durch die Ritzen in den Bohlen rankten sich Kletterpflanzen und verrieten, dass die Brücke schon seit langer Zeit nicht mehr bewegt worden war. Unter ihnen hallten ihre Schritte wider.
Anne spürte ein kräftiges Zupfen an ihrem Rock. Sie sah hinunter zu ihrem Sohn. »Wie kommen wir hinein, Wissy?«, fragte er.
Anne lachte nervös, das war eine merkwürdige Art, nach Hause zu kommen. »Aber wir haben doch einen Schlüssel, mein Schatz.«
Sie griff in ihre Gürteltasche und zog den größten Schlüssel hervor, den Edward jemals
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