Der Triumph der Heilerin.indd
Waldreben und Pfingstrosen, mit Efeu und Jasmin zu Girlanden verflochten, hingen in anmutigen Gebinden an den Wänden und unter den Deckenbalken.
Anne war tief betroffen. Mit diesem Zimmer sagte ihr Edward, dass er sie besser kannte als sie sich selbst. »Das ist das schönste Zimmer, das ich je gesehen habe.«
Edwards Freude war unübersehbar. »Aber sieh nur, ich habe noch etwas für dich ...«
Der König ging zu der bronzenen Truhe und stemmte mit einiger Mühe den schweren Deckel auf. Dann bückte er sich und zog etwas hervor, etwas Schimmerndes. Er schüttelte es sanft. Ein glänzender, weißer Stoff, zart wie Nebel, glitt durch seine Finger. Mit angehaltenem Atem sah Anne, dass er über und über mit winzigen Perlen bestickt war, die aussahen wie zahllose Tröpfchen aus Milch.
»Ich weiß noch, dass du in Brügge einmal so ein Kleid getragen hast. Am zweiten Abend der Hochzeit meiner Schwester. Machst du mir die Freude, es heute Abend anzuziehen?«
Anne war wie geblendet. Ein Kleid, nicht nur aus Seide, sondern auch mit Hunderten und Aberhunderten von Perlen besetzt? Ein prachtvolles, ein königliches Geschenk. »Euer Majestät, mit Perlen werden keusche Ehefrauen beschenkt.« Sie versuchte, sich die Trauer in ihrer Stimme nicht anmerken zu lassen.
Ehrerbietig trug der König von England das Kleid zu seiner Geliebten und hielt es vor sie hin. Er nickte. »Du hast mir einst Perlen geschenkt. Und du bist keusch, das weiß ich. Außer bei mir.« Er sah ihr tief in die Augen. »Außer bei mir, mein Herz.«
Er bückte sich und küsste sie, und dann glitt das kostbare Gewand auf die Binsen hinab.
Keiner von ihnen bemerkte es.
Kapitel 70
Nie hätte er geglaubt, dass er diesen Ort noch einmal in seinem Leben sehen würde. Aber wenn er jetzt den Kopf drehte, sah er in der Ferne die spitzen Türme der Abtei, die zu den Sternen des frühen Abendhimmels emporragten, und dort, direkt daneben, sah er den schwerfälligen Palast. War es Rauch, der aus den unzähligen Kaminen in die stille Luft aufstieg, oder war es die Anwesenheit der Sünde, die an diesem Ort des Bösen Gestalt annahm?
Der Mönch schloss schaudernd seine Augen und flüsterte die Worte aus dem uralten Psalm: »Ich erhebe meine Augen zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe ...?«
Hilfe, Kraft, Unterstützung. Dies alles brauchte er, wollte er den Sündenpfuhl meiden, der ihn im Palast erwartete, und wollte er die Aufgabe erfüllen, die ihm sein Bruder Louis, Gottes gesalbter Diener, übertragen hatte. Der König hatte von ihm Auskünfte über Edwards Hof haben wollen, aber Agonistes wusste, was Louis eigentlich wollte. Er wollte Gerechtigkeit, und er wollte Rache nehmen an dem Königsmörder, dem Earl von March. Dies war sein gutes Recht als König. Gott hatte Louis die Macht verliehen, seine Gegner zu vernichten.
»Du Hurensohn!« Ein Lastenträger, dem zwei schwere Gemüsekörbe vom Schulterjoch baumelten, schrie den Mönch an, der ihm unversehens in die Quere gekommen war.
Da erwachte der Höfling, der in dem Mönch noch schlummerte, und er schnauzte den Träger an: »Hüte deine Zunge, sonst wird sie dir herausgerissen!« Die Umstehenden, die ihn hörten, blieben überrascht stehen. Dieser Mönch, mochte er in seinen zerlumpten Kleidern auch schmutzig und verhärmt aussehen, sprach wie ein Herr. Der Träger erschrak über die Drohung und wollte eilends weiter, da fiel Agonistes weinend aufdie Knie, um für seine Worte zu büßen.
»Ach, Bruder, Bruder, vergebt mir. Das ist dieser Ort ... dieser verfluchte Ort, der aus mir spricht. Das bin nicht ich, der niedrigste und elendste Diener unter Gottes Himmel.«
Der Träger bekam es mit der Angst angesichts dieses merkwürdigen Verhaltens und wollte sich verdrücken, doch der heulende Mönch hatte ihn an den Beinen gepackt und ließ ihn nicht los. Er klebte an ihm wie eine Klette, schleppte sich weiter und riefweinend: »Strafe mich, Bruder, strafe mich, damit solch teuflischer Stolz bezwungen werde.«
Menschenmassen scharten sich um das merkwürdige Paar, und die Unruhe nahm zu, doch dann liefen die Menschen plötzlich schreiend auseinander, packten ihre Kinder, ihre Habseligkeiten und duckten sich unter die schützenden Hausvorsprünge. Eine Gruppe Soldaten war aus dem abendlichen Dämmerlicht über sie hergefallen und machte mit Peitschen und Fluchen den Weg für eine sehr wichtige Persönlichkeit frei.
»Platz! Platz da für den Großkämmerer des Königs. Aus dem Weg!«
Der Träger geriet in
Weitere Kostenlose Bücher