Der Triumph der Heilerin.indd
und an einer Stelle, wo fast den ganzen Tag Halbschatten herrschte, waren zwei schöne Bänke aufgestellt worden. Als William nun auf Anne wartete, bemerkte er, dass eine der Bänke mit einem bestickten, rubinroten Samttuch bedeckt war, eine pikante Note höfischer Pracht an diesem wilden Ort.
Auf einem großen, flachen Mooskissen neben dem Wasserfall war ein kleines Festmahl gedeckt. William betrachtete die üppig belegten Platten mit knurrendem Magen. Das Essen war mit weißen Servietten und silbernen Tellern zugedeckt, aber die verlockenden Düfte erinnerten ihn daran, dass er seit dem Frühstück nach der Morgenandacht nichts mehr gegessen hatte. Vielleicht probierte er einfach ein Stück von dem Schmalzgebackenen in Safran ...
»Von dem Wasserfall hatte ich keine Ahnung, Lord Hastings.«
Der Großkämmerer zog erschrocken seine Hand zurück wie ein schuldbewusstes Kind. Anne kicherte. »Oh, bitte, esst nur. Ich habe Euch lange genug warten lassen. Ihr müsst sehr hungrig sein.«
»Nun, Lady, die Gier ist oft stärker als die Vernunft.«
Sein ungezwungener Ton stockte, kaum dass er sich zu ihr umgedreht hatte. Sie hatte ein schimmerndes, strahlend weißes Kleid an. Sie trug ihr rotbraunes Haar offen, und ihre Augen funkelten wie Diamanten. Bei ihrem Anblick verstand William Hastings wieder, warum Edward so besessen war von dieser Frau. Der König stand zwischen zwei Frauen - die eine hell, die andere dunkel. Als William Anne betrachtete, schwankte er plötzlich, ob er wirklich die Interessen der Königin vertreten sollte. Jedenfalls erwartete ihn hier ein interessantes und spannendes Gespräch. »Der Erbauer dieses Gartens hat wahrscheinlich auch diesen Wasserfall geschaffen, auch wenn er auf den ersten Blick ganz natürlich wirkt.«
Anne trat aus dem Schatten der Bäume hervor, die Sonne umrahmte ihren Kopf mit einem verschwommenen Strahlenkranz. Ihr Kleid war ganz schlicht, wirkte durch die Perlenstickerei aber kostbar wie das Gewand auf einer Ikone. Der weiße Rock schleifte über den smaragdgrünen Moosteppich, und es war, als wäre dieser von Menschenhand gewobene Stoff aus Licht gesponnen.
Zauberhaft. Bezaubernd. Anne de Bohun passte gut an diesen Ort. Auch sie war eine Verbindung aus Wildnis und Kultiviertheit, und man konnte sich schwer vorstellen, so banale Dinge wie »Seid Ihr hungrig?« oder »Möchtet Ihr hier Platz nehmen, Lady?« zu einer Frau zu sagen, die wie eine Märchenfee aussah.
»Wollt Ihr auf dieser Bank hier Platz nehmen, Lady Anne? Erlaubt mir, dass ich Euch etwas serviere.« William ergriff die Initiative und eröffnete das Gespräch.
»Ja, das wäre sehr freundlich. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal gegessen habe.« Anne setzte sich, der Faltenwurf ihres Kleides ergoss sich über die Samtstickerei, mit der die Bank bedeckt war. Die Bäume am Teich bewegten sich sanft in der lauen Brise, so dass auf ihrem Körper ein Muster aus Sonnenflecken entstand.
Anne war nervös, das hörte William an ihrer Stimme, und als sie ihn ansah, bemerkte er auch ihren argwöhnischen Blick.
Er räusperte sich, ein scharfes Geräusch, das die Stille zerschnitt. »Ich dachte, es wäre das Beste, wenn wir uns allein unterhielten, Lady Anne. Auch ohne die Stumme. Ich hoffe, Ihr versteht das?«
Er bot ihr eine silberne Platte mit allerlei Speisen an: das Schmalzgebäck, nach dem ihn so gelüstete, Gehacktes vom Perlhuhn in einer Soße aus zerstoßenen Korinthen, Sahne und Zimt, gekochte und geschälte Möweneier, die in einer Mischung aus Salz, Honig und so viel Petersilie gewälzt waren, dass sie ganz grün aussahen, außerdem ein riesengroßes Stück Austernpastete, verschiedene Rindfleischgerichte, Lammfleisch und Lerchen, die mit Eiern, Dünnbier und gepfefferten Zwiebeln angerichtet waren. »Einen Löffel, Lady?«
»Danke.« Anne nahm die Platte mit einem freundlichen Lächeln entgegen. Der Großkämmerer von England bediente sie eigenhändig, der Inbegriff des galanten Ritters. Anne aber wusste es besser, sie holte tief Luft. Der Kampf um den König - um seinen Leib und seine Seele - hatte begonnen.
Hastings kam kurz darauf mit seinem eigenen Teller zurück und setzte sich ihr gegenüber. »Das habe ich vergessen.« Der Großkämmerer reichte ihr ein Messer mit einer kurzen, vergoldeten Klinge, ein hübsches Stück, dessen Klinge aber nicht sehr scharf war.
Anne nahm das Messer und lächelte ein wenig. »Aha, ein bisschen stumpf. Vertraut Ihr mir nicht, Lord
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