Der Tschernobyl Virus
Zum Beispiel einen stärkeren Muskelaufbau, schärfere Zähne oder ein besseres Kampfverhalten, was weiß ich. Und wenn diese Genveränderung, also Mutation, an die Keimbahn weitergegeben wird, wird sie an die nächste Generation weitergegeben, und kann sich so immer weiter entwickeln. So entsteht im Grunde genommen jede weitere Stufe in der Evolution.«
»Soll das etwas heißen, wir sind alle Mutanten?«
»Keine Evolution ohne Veränderung, sprich, ohne Mutation keine Weiterentwicklung.«
»Nein, nein ich bin kein Mutant. Ich bin ein normaler Mensch, ohne Defekt.«
»Trinken sie Milch?«
Bauer sah Karg verdutzt an, »Ja, und?«
»Vertragen sie die Milch?«
»Ja, aber was soll das?«
»Dann sind sie ein Mutant.«
»Wie, wieso? Was hat Milch jetzt mit Mutation zu tun?« Jetzt war Bauer in Rage.
»Der Mensch war genetisch dafür ausgelegt, nur als Kind Laktose zu vertragen. Im Erwachsenenalter entfiel die Laktosetoleranz. Erst durch eine Mutation vor ungefähr acht bis zehntausend Jahren dehnte sich die Laktosetoleranz auf die ganze Lebensspanne aus. Bedanken sie sich also bei dem Mutanten, der ihnen den Milchgenuss ermöglicht hat.«
Der Außenminister holte tief Luft, als wolle er etwas erwidern. Er hielt dann kurz die Luft an und atmete geräuschvoll aus. Anscheinend gab er sich geschlagen. Er lehnte sich schweigend zurück. Karg sah ganz kurz zu Koch und zwinkerte ihm zu.
Die Kanzlerin ordnete noch einmal ihre Unterlagen, »Die Besprechung führt zu keinem wirklichen Ergebnis. Sie alle haben die nötigen Unterlagen. Für sie steht ein Privatflugzeug bereit, das sie nach Kiew bringt. Sie werden eng mit den ukrainischen Behörden zusammenarbeiten. Ich wünsche ihnen viel Erfolg.«
Kapitel 22
Schon am Flugzeug wurden Koch, Marie, Shu, Kempe und Heip, die sich alle wunderten, dass es recht warm war, von einem hochrangigen Soldaten mit vielen, an der tadellosen Uniform hängenden Orden, empfangen. Heip schien durch die Uniformen, die ihm gegenüberstanden noch kleiner geworden zu sein. Koch fragte sich, ob dieser Jüngling wirklich ein nützlicher Begleiter für die Gruppe sein sollte. Was, wenn es auf einmal einen diplomatischen Konflikt geben sollte? Würde sich Heip gegen gestandene Soldaten durchsetzen können? Koch bezweifelte es sehr. Die Gruppe wurde von den Soldaten ohne Passkontrolle durch den Flughafen geschleust. Vor dem Terminal wartete ein großer, luxuriöser Minibus auf die Gruppe. Sie stiegen ein und fuhren los. Kempe streckte sich auf der eleganten Lederbank aus. »Es wird langsam auch Zeit, dass wir die Aufmerksamkeit bekommen, die wir verdienen.«
»Aber warum gerade jetzt?«, fragte Marie leise, ohne dabei jemanden anzusehen.
»Genau.« Koch nickte, »Wir werden wie Stars oder Helden empfangen. Und bisher haben wir überhaupt noch nichts getan. Wir sind nur hier aufgekreuzt.«
Kempe zuckte mit den Schultern. »Die Beamten hier wissen, dass in Kürze alle Scheinwerfer auf sie gerichtet sein werden. Also machen sie sich bereit für ihren Zirkusauftritt.«
Koch nickte geistesabwesend. »Ja, klingt plausibel.«
Kempe fixierte Koch mit seinen graublauen Augen. »Du bist nicht überzeugt«, sagte er in sachlichem Ton.
»Was die Motive von Regierungen angeht, bin ich der geborene Skeptiker«, erwiderte Koch, »Immer wenn ich sehe, wie sie den roten Teppich ausrollen, frage ich mich, welchen Dreck sie darunter verstecken wollen.«
Kempe lachte und schlug mit der flachen Hand auf den Sitz neben sich. »Marc, du bist ein zynischer Bastard. Aber deine Einstellung gefällt mir.«
Der Bus rollte durch die Straßen von Kiew und fuhr dann aus der Stadt hinaus in Richtung Tschernobyl. Die Fahrt ging vorbei an einsamen Häusern. Je länger die Fahrt dauerte, desto nervöser wurde die Gruppe. Niemand wusste, was sie erwartete. Koch sah in die Runde. Kempe blickte gedankenversunken aus dem Fenster, Marie Chudy lächelte schüchtern zurück, während sie ihre Hände knetete. Shu wirkte als einzige noch relativ gelassen. Als Koch sie ansah, trafen sich kurz ihre Blicke. Ihm wurde in diesem Moment ziemlich warm und er hatte Angst, sie könnte sehen, wie er errötete. Schnell blickte er weiter zu Heip. Doch aus den Augenwinkeln sah er, dass Shu ihn weiter ansah. Heip wirkte wie ein Häufchen Elend. Er schaute abwechselnd aus dem Fenster, auf den Boden und sich in der Runde um. Koch meinte, Schweißperlen auf seiner Stirn zu erkennen, und das, obwohl es im Wagen sehr angenehm war. Dieser
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