Der Tschernobyl Virus

»kennen sie die Studie, die das Bundesamt für Strahlenschutz 2007 über die Gefahren durch deutsche Atomkraftwerke veröffentlicht hat? Danach haben Kinder, die in der Nähe der deutschen Kernkraftwerke wohnen, eine 60 Prozent höhere Gefahr, an Krebs zu erkranken.«
    »Woher weißt du das alles?« Shu lehnte sich zu Koch und flüsterte ihm ins Ohr.
    »Was meinst du, wie viel Zeit man zum Lesen hat, wenn man in Quarantäne steckt«, Koch zwinkerte ihr zu.
    »Das sind nur theoretische Zahlen«, die Kanzlerin war inzwischen wütend und versuchte, diese Diskussion zu beenden, »wir haben solche Unfälle in unseren Kraftwerken nicht.«
    »Da haben sie Recht«, Koch nickte, »noch haben wir Unfälle mit solchen Ausmaßen nicht gehabt. Aber denken sie doch nur an Krümmel. Was war denn da, im Juli 2007? Alleine in den ersten drei Quartalen 2008 gab es über sechzig meldepflichtige Ereignisse, also schwere Unfälle, in deutschen Kraftwerken. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Unfälle es gab, die unter der Meldegrenze lagen. Bis also ein großer Unfall kommt, ist es nur eine Frage der Zeit…«
    »Es reicht jetzt«, Karg beendete diese Diskussion lautstark, »Wir sind nicht hier, um über die Atomkraft zu reden, sondern wir wollen den Menschen helfen.«
    »Du hast Recht«, Koch nickte und lehnte sich wieder zurück, wandte sich dann an die Kanzlerin, »bitte entschuldigen sie. Ich wollte sie nicht angreifen.«
    Sie nickte nur mit zusammengekniffenen Lippen, dann sah sie wieder zu Karg, der sich auch wieder beruhigt hatte, »Nun«, um sich etwas Zeit zu verschaffen ordnete Karg seine Unterlagen erneut, »Jedenfalls sollt ihr, also eine Gruppe von Ärzten, zu denen ihr gehören sollt, nach Tschernobyl und dort die Tiere suchen.«
    »Welche Tiere denn?« Koch verstand nicht.
    »Wir haben Martina Zandler, so gut es möglich ist bei dieser raschen Abfolge von Erkrankungen, als den Patienten Zero ausmachen können. Sie hatte Kratzspuren. Laut dem Pathologen waren diese Kratzspuren bei Eintritt des Todes so etwa zwei Wochen alt. Laut der Gerichtsmedizin sind es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kratzspuren einer Katze. Einer zu großen Katze. Laut Krankenhausbericht meinte sie, sie wäre direkt, nachdem sie gekratzt wurde, krank geworden. Sie hatte sich standhaft geweigert zu sagen, woher die Kratzspur kommt.«
    »Du denkst an eine Zoonose?«
    »Entschuldigung«, fragte der Außenminister, »aber was ist eine Zoonose?«
    »Das ist, wenn ein Virus von einem Tier auf den Menschen übergreift«, Koch antwortete kurz und bündig, »wie zum Beispiel Schweinepest.«
    »Genau«, Karg nickte, »wir denken, dass ein Virus sich in mutierten Katzen eingenistet hat. Für die Tiere ist er nicht gefährlich, aber tödlich für uns Menschen.«
    »Moment, Moment«, Bauer unterbrach erneut, »was wollen sie uns hier erzählen? Da sollen irgendwelche Mutanten rumlaufen und die Menschheit bedrohen?«
    Karg sah den Außenminister mit großen Augen an, »In einfachen Worten gesagt, genau das.«
    »Was soll das heißen, Mutation? Wir wollen doch auf dem Boden der Tatsachen bleiben.«
    »Sie dürfen sich nicht auf das Niveau von Horrorfilmen herablassen. Es geht um Entwicklung durch Mutation.«
    »Wie sollen wir uns das vorstellen? Wir entwickeln uns, weil irgendeiner mit zwei Köpfen geboren wird, oder was?« Bauer lachte etwas zu laut.
    Karg wirkte genervt, »Haben sie schon einmal etwas von der Darwinschen Evolutionstheorie gehört?«
    »Ja klar, die Evolution eben. Gehört schon, aber was soll das hiermit zu tun haben?«
    »Damit Evolution stattfinden kann ist eine minimale Veränderung von Generation zu Generation erforderlich. Nun, grob umschnitten, gibt es immer jemanden einer Spezies, der aus irgendeinem genetischen Grund einen Vorteil gegenüber seinen Artgenossen hat. Der kann sich dann durchsetzen gegen Artgenossen und bekommt die meisten Weibchen und gibt so seine Gene weiter an die nächste Generation. Und so geht das immer weiter, bis diese eine Evolutionsstufe die andere verdrängt hat.«
    »OK, ist klar und einleuchtend. Sie reden aber über Mutanten.« Bauer wusste immer noch nicht, was das mit den aktuellen Krankheitsfällen zu tun hatte.
    »Mutation ist eine Veränderung in den Genen. Sie kann entweder nur spezielle Genbereiche verändern, dann wäre das der Embrio mit zwei Köpfen den sie im Kopf haben. Es kann aber auch einer sein, der nur kleine Veränderungen im Verhalten oder im Körperbau mit sich bringt.