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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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daß er noch während der Nacht nach dem Advocatus verlangte. Dieser hatte jedoch keinerlei Lust dazu, ihn aufzusuchen. Nur einer seiner Schreiber fand sich bereit, Ebran anzuhören, und besuchte ihn alleine; wegen der vorgeschrittenen Zeit war auch niemand sonst willens, ihn zu begleiten. Um die Angelegenheit rechtens zu machen, stattete der Advocatus seinen Helfer mit weitreichenden Vollmachten aus. Es war vielleicht nicht üblich, aber der Schreiber hatte studiert und war als ehrgeizig und zuverlässig bekannt, und außerdem herrschte Krieg. Niemand konnte mir sagen, was der Gefangene in dieser Nacht noch alles gestand. Die Henkersknechte jedenfalls glaubten, es sei genug gewesen, um den Advocatus oder seinen Assistenten auf den Gedanken zu bringen, daß Ebran die schlimmsten Sünden noch für sich behalten habe. Man ordnete sofort eine verschärfte Befragung an.«
    Ich schluckte.
    »Was kam dabei heraus?«
    »Nicht mehr sehr viel. Die Henkersknechte waren der Ansicht, die Angst und der Schmerz hätten Ebran den Verstand verlieren lassen. Er beschuldigte während der Befragung den Advocatus und seinen Schreiber der phantastischsten Vergehen, jedenfalls solange er noch artikuliert sprechen konnte: von der Bestechlichkeit bis zur Gotteslästerung warf er ihnen alles vor. Man vertrat die Meinung, daß der Teufel selbst aus dem Gefangenen spreche, und ließ die Befragung fortsetzen, um den Dämon zu vertreiben und der gepeinigten Seele ein Geständnis zu ermöglichen; es wurde ein Priester geholt, der die Sache genauso sah. Allerdings hatte niemand bedacht, daß Ebrans Gesundheit durch den Wein und die vielen Weiber angegriffen war; und er war kein junger Mann mehr. Während des Verhörs ereilte ihn sein Schicksal.«
    »Was?«
    »Er starb. Angeblich haben die Henkersknechte mehrmals darauf hingewiesen, daß diese Gefahr bestehe, aber die Folter wurde unbarmherzig fortgesetzt.«
    Ich fragte unwillkürlich: »Wer war der Advocatus?«
    Reckel verzog das Gesicht zu einem halben Lächeln.
    »Das ist eine gute Frage«, sagte er. »Ich stellte sie mir auch; und ich fragte mich noch, was Ebran wohl erzählt haben mochte in der Nacht im Kerker, ohne Zeugen außer den Ratten und den anderen unseligen Gefangenen, die zu sehr mit ihrem eigenen Leid beschäftigt waren, um noch dem Unglück anderer zuzuhören.«
    »Ihr meint, er hätte ihm ...«
    »Richtig. Ebran war von niederem Adel, aber er war nicht verarmt. Für seine Leidenschaften, den Wein und die Frauen, genügten ihm sein Status und seine hübsche Larve. Er hatte von meines Vaters Geld vermutlich kaum etwas ausgegeben; vielleicht wollte er es sich aufheben für eine Zeit, in der sein Status nicht mehr viel wert und sein hübsches Gesicht von den Ausschweif ungen zerfressen wäre. Ich nahm an, er hatte dem Schreiber einen Teil davon für seine Freilassung angeboten. Und ich nehme an, dieser willigte zum Schein ein, ließ sich das Versteck des Geldes erklären, prüfte sein Vorhandensein nach und gab die Order, Ebran zu Tode zu foltern. Er hatte keine Lust, seinen Ruf durch die unmotivierte Freilassung des Gefangenen in Verruf zu bringen, und er hatte wohl auch keine Lust, das Geld zu teilen.«
    Löw stöhnte und zuckte im Schlaf. Reckel, der sich halb auf den Tisch gesetzt hatte, drehte sich zu ihm um und betrachtete ihn. Er kniff die Augen zusammen und kratzte sich dann am Kopf. Wenn er Mitleid mit dem Apotheker empfand, zeigte er es nicht.
    »Langsam«, sagte ich. »Zumindest der Advocatus und sein Helfer mußten miteinander teilen.«
    »Laßt mich nur erzählen«, erwiderte Reckel. »Es dauerte eine lange Zeit, bis ich alle Informationen zusammengefügt hatte; das meiste erfuhr ich erst hinterher und mit einem großen zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen. Ich lavierte meinen Tuchhandel durch die Kriegsereignisse. Als Ludwig der Bärtige das Spiel verloren hatte und in die Gefangenschaft seines Sohnes geriet, brach das Gemeinwesen in Ingolstadt für einige Zeit völlig zusammen, und ich hatte alle Hände voll zu tun, meine Familie und meinen Wohlstand einigermaßen unbeschadet über die Zeit zu bringen. Zwei Jahre nach der Gefangennahme Ludwigs starb sein Sohn, und sowohl der Gefangene als auch die Stadt wurden Herzog Heinrich ausgeliefert. Ich lebte lange Zeit in der Furcht, er könne von mir erfahren und sich an den Namen erinnern. Als ich mich endlich wieder hervorwagte, war Heinrich verstorben, angeblich an der Pest, und ich konnte wieder etwas leichter atmen.

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