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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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»Wenn ich wollte, könnte ich von den Fenstern meines Vorratsspeichers das Ganze viel besser überblicken, und das, ohne im Gestank zu stehen. Ich warte auf einen der Flößer; ich habe ihm aufgetragen, mir eine Ladung ungarisches Rosenöl für das Konfekt mitzubringen.«
    »Ich dachte, die Flößer transportieren nur das Vieh her.«
    Er zwinkerte mir zu.
    »Eine Ladung Rosenöl nimmt kaum Platz weg«, sagte er. »Nicht ein Schaf muß dafür seinen Platz räumen. Ein unproblematisches Zusatzgeschäft für den Besitzer des Floßes.«
    »Und auch für den Auftraggeber, der dadurch einen niedrigen Transportpreis erzielt«, grinste ich, und er grinste zurück. Beinahe hörte ich ihn denken: Das habe ich nur von Euch gelernt.
    »Wo trefft Ihr Euren Flößer?«
    »An der Lände, jenseits der Stadtmauer. Ich muß warten, bis das ganze Vieh entladen ist; vorher hat er bestimmt keine Zeit, sich um mein Anliegen zu kümmern. Wollt Ihr mir noch ein wenig Gesellschaft leisten?«
    »Gern«, sagte ich. Ich wußte, daß ich so schnell wie möglich mit dem Stadtkämmerer sprechen mußte, aber die unkomplizierte Freundlichkeit des Apothekers tat mir gut. Ich dachte: Eine halbe Stunde Verzug kann auch nicht schaden, und lehnte mich bequem gegen die Hausmauer in meinem Rücken.
    Wir schwiegen eine Weile und sahen dem Strom von Ochsen und Schafen zu, die mit von der Floßfahrt noch unsicheren Beinen an uns vorbeitrabten. Die scharfen kleinen Hufe der Schafe hatten das Erdreich in der Gasse mittlerweile aufgerissen, und die schweren Tritte der Ochsen vermischten den Lehm und den herabgefallenen Kot zu einem zähen, übelriechenden Brei. Angesichts dessen konnte ich mir denken, daß die meisten der in der Altstadt wohnenden Patrizier die Umleitung nicht ungern sahen; das Pflaster auf der Straße war schon verschmutzt genug. Vielleicht hatten sie Hans Stethaimers Weigerung, für den Viehtreck Platz zu machen, mit einigen kleinen Gaben den Rücken gestärkt.
    »Kennt Ihr das Haus da drüben?« fragte Löw unvermittelt. Ich sah hoch; er deutete auf ein Gebäude weiter oben in der Ländgasse.
    – »Nein«, sagte ich.
    »Es steht schon seit ewigen Zeiten leer«, erklärte er.
    Ich horchte auf; dies war das Haus, von dem Altdorf er gesprochen und das ich gestern übersehen hatte.
    »Was ist damit?« fragte ich vorsichtig.
    Er dämpfte plötzlich seine Stimme und beugte sich zu mir herüber; ich mußte mich bücken, um ihn verstehen zu können. Er sagte: »Wißt Ihr, ich bin kein leichtgläubiger Mann. Ich weiß, daß man bestimmte Pilze und Kräuter einnehmen kann, um Dinge zu sehen, die andere Menschen nicht sehen können – schöne und schreckliche Dinge. Aber es sind Dinge, die aus den Giften in diesen Pflanzen entstehen, weil sie das Gehirn des Menschen durcheinanderbringen, und nicht etwa Dinge, die es in Wirklichkeit gibt. Ich weiß auch, daß die Irrlichter in den Sümpfen nicht die Seelen von Ertrunkenen sind, sondern aus Gasblasen entstehen, die sich entzünden, wenn die Luft schwül und kurz vor einem Gewitter ist. Und ich weiß, daß die meisten der alten Weiblein, die man im Fränkischen und Hessischen als Hexen verbrannt hat, im Grunde nichts Verwerflicheres taten als ich selbst und vom Satan so wenig verbuhlt worden sind wie die reinste Jungfrau in irgendeinem Kloster. Und deshalb habe ich auch gelacht, wenn aufgeregte alte Jungfern oder halb betrunkene Flößer meinen Vater aufsuchten, um ihm zu erzählen, sie hätten gespenstische Lichter in diesem alten Haus dort drüben gesehen. Meister Löw, sagten sie, die Seelen der Toten gehen dort um und finden keine Ruhe. Mein Vater war freundlich und gab ihnen beruhigende Kräuter mit, doch wenn sie den Laden wieder verlassen hatten, drehte er sich zu mir um und sagte ernst: Sebastian, höre auf zu lachen; das sind arme Menschen, denen ihre Angst und ihr Geisterglaube Dinge vorgaukeln, die gar nicht vorhanden sind. Die Seelen der Toten sind im Fegefeuer und büßen dort ihre Zeit ab – sie haben in alten Häusern nichts verloren.«
    Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, als müsse er nachdenken, ob er überhaupt weiter sprechen sollte. Dann schluckte er und sagte: »Und nun habe ich selbst flackernde Lichter in diesem verfluchten Haus gesehen, spät in der Nacht, und so etwas wie hohle Stimmen gehört. Deshalb bin ich so schreckhaft.«
    Ich starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an; ich konnte nicht verhindern, daß mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief, wenn auch aus

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