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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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sich das Wasser hatte sammeln und ablaufen können, hatte es lange, moosige Streifen gebildet, die wie mißgünstige Barte von den Ecken und Kanten nach unten hingen. Die Fensterscheiben in den oberen Stockwerken waren heil; im Erdgeschoß waren sie eingeworfen. Kinder, für die es eine Mutprobe bedeutete, in einem verlassenen Haus etwas zu zerstören. Das Haus sah so unbewohnt aus, wie es nur sein konnte. Es schien Kälte auszustrahlen, und obwohl es zwischen anderen Gebäuden stand, wirkte es einsam wie die verlassene Kate eines Einsiedlers. Dann machte mich etwas stutzig.
    Ich trat wieder auf die Straße zurück, um besser sehen zu können. Die von der Sonne beschienenen Fassaden der gegenüberliegenden Häuser spiegelten sich in den unversehrten Scheiben. Ich drehte mich um; was direkt gegenüberlag, waren Lagerhäuser und Stadel; die Wohnhäuser begannen erst wieder unterhalb der Wirtschaftsgebäude. Ich hielt die Hand über die Augen und betrachtete eines der Fenster im oberen Stockwerk.
    Ich konnte es zuerst nicht richtig erkennen. Das Glas spiegelte, und das Fenster war von innen mit einer Decke verhängt. Aber von meinem neuen Standpunkt aus war es deutlich zu sehen. Die Decke war an einer Seite ein wenig zurückgezogen, ganz, als hätte jemand einmal durch das Fenster gespäht und sie nicht wieder richtig zurechtgerückt. Durch den so entstandenen Spalt konnte man ohne Schwierigkeit einen Teil der Fensterbank sehen. Eine brennende Kerze stand darauf.
    »Ist es nicht schade, wenn ein Haus so verkommt?« fragte eine weibliche Stimme neben mir, und ich fuhr herum.
    Ich wußte nicht, wie sie so lautlos neben mir erschienen war. Sie trug einen Mantel aus blauem Atlas, auf dessen dunkler Oberfläche ein Granatapfelmuster schimmerte, und darunter ein Kleid aus dunkelgrünem Damast, dessen Rock sich weit um ihre Beine bauschte und mit einem breiten Rand von schwarzem Pelz abgenäht war. Schwarz war auch das gefältelte Tuch in ihrem Dekolleté. Die Taille war tiefer gesetzt, als es der Mode entsprach, und ihr silberverzierter Gürtel ließ erkennen, daß sie beinahe zu schlank war. Die Spitzen von hohen, schmalen Schuhen, die bereits vom Schmutz der Gasse überzogen waren, ragten unter dem langen Rock hervor. Als ich den Blick hob, sah ich in ein Paar glänzend dunkler Augen, in denen sich der Streifen Himmel hinter den Fassaden spiegelte, eine entschlossene Nase und die Schatten von Fältchen um die Mundwinkel, die sich bei einem Lächeln sicherlich in kleine Grübchen verwandelten und die in vorteilhafterem Licht kaum zu sehen gewesen wären. Ihr Haar war in der Art der polnischen Edeldamen aufgesteckt. Es war von einem matten Blond, das seltsam mit den dunklen Augen kontrastierte. Sie war nur unwesentlich kleiner als ich. Sie hielt ihren Oberkörper mit beiden Armen umfaßt und spähte mir mit verengten Lidern ins Gesicht, als wäre sie ein ganz klein wenig kurzsichtig.
    Ich bemühte mich, nicht zu zeigen, daß mich ihr plötzliches Erscheinen erschreckt hatte. Ich starrte sie an, und sie gab meinen Blick ruhig zurück. Die Ruhe wollte nicht zu den rastlosen Bewegungen ihrer Hände passen, mit denen sie ihre Oberarme knetete. War sie aus dem alten Haus gekommen? Ich mußte mich ermahnen, nicht zu der brennenden Kerze hinaufzuschauen.
    »Das Haus«, sagte sie. »Es wäre ein schönes Wohnhaus, aber es zerfällt. Bald wird es nur noch eine Ruine sein.« Ihre Stimme war sanft und tief, und erst jetzt bemerkte ich den Akzent: Sie dehnte die Vokale länger, als es richtig gewesen wäre.
    »Niemand scheint es zu wollen«, sagte ich verwirrt.
    Sie zuckte mit den Schultern. Ich fand meine Geistesgegenwart wieder und machte ein paar Schritte von dem Haus weg die Gasse hinunter, und zu meiner Verblüffung folgte sie mir.
    »Wenn das so ist, sollte es der Stadtkämmerer den Armen als Behausung zuweisen. Ich habe gesehen, daß Familien draußen vor den Toren in selbstgezimmerten Bretterbuden hausen«, erklärte sie.
    »Die Leute vor der Stadt sind keine Bürger«, sagte ich. »Niemanden schert es, wie sie leben. Sie gehören nicht zur Stadt.«
    »Ich dachte, es seien – wie sagt man bei Euch: Pfahlbürger?«
    »Ihr meint: Ausbürger; die Menschen, die auf dem Lande wohnen, aber sich der Stadt verpflichten, um ihren Pflichten gegenüber ihren Landherren ledig zu werden. Diese Menschen hausen gewöhnlich nicht außerhalb der Stadtmauern und leben von den Abfällen, die dort heruntergeworfen werden, sondern bearbeiten redlich

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