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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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anderen Gründen als jenen, die sichtbar die letzten verbliebenen Haare in Sebastian Löws Nacken aufstellten.
    »Wann war das?« fragte ich scharf.
    »Gestern.«
    »Was habt Ihr unternommen?«
    »Ich? Nichts. Ich werde es künftig tunlichst vermeiden, bei Nacht an dem Haus vorbeizugehen, das ist alles. Ich fürchte, daß ich zu viele Jahre in den Ausdünstungen meiner Arzneien und Kräuter verbracht habe und daß auch mein Hirn beginnt, mir Dinge vorzugaukeln.«
    »Habt Ihr von jemand anderem gehört, der die gleichen Beobachtungen gemacht hat?«
    »Nicht, daß ich wüßte. Warum fragt Ihr so eindringlich nach?«
    Ich zuckte zurück; ich hatte mich von meiner Aufregung mitreißen lassen. Löw musterte mich halb erwartungsvoll, halb mißtrauisch. Ich suchte nach einer unverfänglichen Antwort.
    »Das Haus steht doch nahe am Fluß«, stotterte ich schließlich. »Der ganze Untergrund war früher ein Sumpf. Ich habe einmal gehört, daß sich auch dort jene Gase bilden können, von denen Ihr als Irrlichter gesprochen habt. Ich habe nach einer Erklärung gesucht, deshalb wollte ich wissen, ob auch andere Menschen solche Erscheinungen hatten.«
    Er entspannte sich und begann wieder zu lächeln. Plötzlich wurde mir klar, daß er befürchtet hatte, ich würde ihn für vollkommen verrückt halten.
    »Schon möglich«, sagte er. »Dazu müßte man das Innere des Hauses einmal genau untersuchen, aber mich persönlich bringen keine zehn Pferde dort hinein; Vernunft hin oder her. In einem habt Ihr ohnehin Unrecht: Der Untergrund besteht nicht aus ehemaligem Sumpf, sondern aus Kies. Und von Gasen, die sich in Kies bilden, habe ich noch nie etwas gehört.«
    Ich sagte gleichmütig: »Dann ist es etwas anderes, das sich mit natürlichen Dingen erklären läßt. An Geister, die mit hohlen Stimmen reden, mag ich jedenfalls nicht glauben.«
    »Ich auch nicht«, lachte er, aber es klang nicht überzeugend. »Vor allem aber will ich nicht einen meiner Nachbarn fragen, ob er des Nachts Stimmen gehört hat, wenn Ihr mich versteht.«
    Er wandte sich wieder dem Viehtrieb zu, aber mein Interesse daran war erloschen. Ich versuchte die Bedeutung dessen zu verstehen, was er mir gesagt hatte. Erst als Löw sich zu mir umdrehte und mir ins Gesicht sah, merkte ich wieder auf.
    Seit einigen Minuten war kein Tier mehr vorbeigetrieben worden, und es schien, als sei die Verladeaktion fürs erste beendet. Die Menschen begannen sich wieder zu zerstreuen. Löw schüttelte sich, wie um seine alte Fassung wiederzuerlangen, und hielt mir dann die ausgestreckte Hand hin.
    »Ich muß meinen Flößer aufsuchen«, sagte er und erwiderte meinen Händedruck mit seinen weichen Fingern. »Ich hoffe, Ihr haltet mich jetzt nicht für unzurechnungsfähig.«
    »Mein Verwalter schwört Stein und Bein, er habe einmal den Teufel an einem Wegkreuz um den Leichnam eines Gehenkten tanzen sehen«, sagte ich. »Und ich halte ihn für so vernünftig, daß ich immer wieder mein Geschäft in seine Hände lege.«
    Er lächelte mich verwirrt an; sichtlich wußte er nicht, ob dies nun eine positive oder eine negative Antwort war.
    »Nun denn«, sagte er und zog seine Hand zurück. »Gott behüte Euch.«
    »Gott befohlen«, erwiderte ich, und er marschierte mit schnellen kleinen Schritten durch den Matsch in der Gasse davon.
    Ich ließ ihm Zeit; ihm und den anderen, die sich noch in der Gasse befanden. Es dauerte nicht lange, dann lag sie wieder verlassen da, jetzt noch mehr als sonst gemieden wegen des Morasts, in den sich der Untergrund verwandelt hatte. Ich sprang hinüber auf die andere Seite der Gasse und wanderte zu dem verlassenen Gebäude hinauf. Es war ein großes, auf den ersten Blick ansehnliches Bürgerhaus im oberen Teil der Ländgasse. Von seinem Tor aus konnte man bereits den Fuß des Torturmes sehen, der das Ländtor bewachte, und den Eingang zum Lager der Polen. Ein Mauerbogen überspannte eine breite Zufahrt, die mit einer doppelflügligen Tür versehen war. Ich trat näher und rüttelte an einem der Türflügel; sie waren fest geschlossen, und als ich die Hand zurückzog, hatte ich den Schlick vermodernden Holzes an meiner Handfläche. Ich betrachtete den Verputz. Aus der Nähe konnte man erkennen, daß er schäbig und bröckelig war. Ich zupfte an einer hervorstehenden Ecke; ein handtellergroßer Fladen löste sich und fiel zu Boden. Ich zerrieb ihn nachdenklich mit dem Fuß und schaute an der Fassade entlang nach oben. Die Farbe war überall verblichen, und wo

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