Der Turm der Könige
Lebensmittelkonvois, Geld und Waffen. Die Franzosen konnten nichts gegen diese Bande ausrichten, die wie ein Stachel im Fleisch saß. Sie stellten einen General ab, der einzig und allein die Aufgabe hatte, sie in Schach zu halten, und setzten eine hohe Belohnung für jeden aus, der eines ihrer Mitglieder auslieferte, tot oder lebendig. Guiomar traf fast der Schlag, als sie nach der Sonntagsmesse davon erfuhr.
»Du bist in Gefahr«, sagte sie zu Ventura, als sie das nächste Mal in seinen Armen lag.
»Nein, die Franzosen sind in Gefahr«, antwortete er mit einem Blitzen in den Augen.
Sie vereinbarten einen speziellen Pfiff, mit dem er ihr zu verstehen gab, dass er am Zaun auf sie wartete, wenn er sich von seinen Pflichten freimachen konnte. Dieses tagelange Bangen war schlimmer für Guiomar als jede schlechte Nachricht. Nicht zu wissen, ob sie ihren Marquis je wiedersehen würde, lastete schwer auf ihre Seele. Sie schlief angezogen, damit sie sofort fertig war, wenn sie seinen Pfiff hörte.
Wenn sie zu den Höhlen von La Batida ritten, vergrub Guiomar ihr Gesicht in Venturas Rücken und schmiegte sich an ihn. In der Höhle mit dem Feigenbaum erkundeten sie gegenseitig ihre Körper und versanken in Küssen. Später dann erzählte Ventura, was er in den Tagen gemacht hatte, die sie getrennt gewesen waren.
Er erzählte ihr, dass das Land von Tod, Hunger und Leid geschüttelt werde und Kinder um ihre Eltern weinten. Er erzählte ihr von tapferen Männern und Frauen, die bereit waren, für die Sache ihr Leben zu geben. Er erzählte ihr die Geschichte einer gewissen Agustina, die in Zaragoza die Franzosen über den Haufen schoss und mit ihrem Mut erreicht hatte, dass sie sich Hals über Kopf zurückzogen. Kampf, Gefahr und Wagemut schienen ihn magisch anzuziehen, und Guiomar hatte Angst, dass diese Begeisterung für die Gefahr ihn an die vorderste Front trieb, bis ihm irgendwann doch bei einem dieser Scharmützel ein Schuss die Brust zerfetzen würde. Tatsächlich war der Marquis davon überzeugt, dass sich die Probleme, von denen das Land geschüttelt wurde, nicht auf friedliche Weise lösen ließen und Spanien nur durch Blutvergießen zu retten war. Er ereiferte sich so sehr, dass seine Augen erneut zu blitzen begannen.
Es fiel Guiomar schwer, sich dem Zauber dieses Blicks zu entziehen, um zu bedenken zu geben, dass die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für welche die Franzosen eintraten, nicht weit von dem entfernt waren, was er für sein Volk wollte. Sie versuchte, ihm begreiflich zu machen, was sie bei den literarischen Zirkeln in der Druckerei gelernt hatte: dass der Dialog dazu beitragen konnte, Konflikte zu lösen und ein Ausdruck der Achtung war, mit der sich die Menschen begegnen sollten, eben weil sie Menschen waren.
»Monsieur Verdoux sagt immer, dass man mit Bildung alles erreichen kann … Und Bruder Dámaso findet, dass Gewalt zu nichts führt … Und mein Vater sagt, eine der ersten Amtshandlungen Josephs I. sei die Abschaffung der Inquisition gewesen …«, ereiferte sich Guiomar.
»Das hat mir noch gefehlt!«, unterbrach er sie. »Das hat man davon, wenn man sich mit einem vornehmen Fräulein abgibt. Deine Vorbilder sind ein Franzose, ein Pfaffe und ein Franzosenfreund. Na wunderbar!«
***
ES WURDE WINTER, doch an der politischen Lage im Land hatte sich nichts geändert. Deshalb war es Abel lieber, wenn seine Frau und seine Tochter auf dem Land blieben. Nun stellte sich den Verliebten ein neues Problem: Bei schlechtem Wetter machten Kälte, Regen und Morast ein Stelldichein in der Höhle unmöglich. Daraufhin kam Guiomar auf die Idee, dass sie sich im Haus in
Las Jácaras
treffen könnten.
Ihre Mutter schlief dank des Lindenblütentees, den sie vor dem Zubettgehen trank, immer tief und fest. Wenn Guiomar den Pfiff hörte, schloss sie ihre Zimmertür ab, öffnete das Fenster und erwiderte den Pfiff, um zu signalisieren, dass die Luft rein war. Dann band Ventura sein Pferd an einen Baum, sprang über den Zaun, schlich sich wie ein Schatten zwischen den Obstbäumen hindurch und kletterte den Zitronenbaum hinauf.
Als Ventura zum ersten Mal Guiomars Zimmer betrat, war er beeindruckt. Er kam sich vor wie im Gemach einer Prinzessin. Das Zimmer roch nach Lavendel und Vanille und war in Weiß und Rosa gehalten. Auf dem Nachttisch standen frische Blumen, und überall lagen Spitzendecken. Das Bett sah aus wie ein Brautlager und war mit dicken Daunenkissen bedeckt, die mit Guiomars
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