Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
Vom Netzwerk:
Ertrunkenen, die vor allem im Sommer im Guadalquivir trieben, beschloss die Stadtverwaltung, erfahrene Schwimmer einzusetzen, die sich mit den Strömungen auskannten, die sogenannten »Flusswächter«. Sie unterstanden dem Hafenmeister und suchten den Grund des Flusses ab, um auf die gefährlichsten Stellen hinzuweisen. Sie überwachten die Badeplätze und kamen denen zu Hilfe, die in Not gerieten. Wenn jemand verunglückte, brachten sie ihn ins Spital der Caridad, in dem Julias Vater ein Leben lang gearbeitet hatte. Genau dort hatte sie den Flusswächter kennengelernt, mit dem sie an diesem Tag in der Druckerei auftauchte. Er hatte seine Arbeitskleidung an, leinene Kniehosen, die es ihm erlaubten, sich in die Fluten zu stürzen, ohne zuerst die Kleider ablegen zu müssen. Um den Hals trug er eine Pfeife, mit der er auf einen Ertrinkenden hinweisen konnte. Der Mann war in Begleitung seiner Tochter, einem schüchternen Mädchen mit traurigen, fügsamen Augen.
    »Das ist Consuelito Alcántara«, stellte Julia das Mädchen Cristóbal mit verschwörerischer Miene vor und vergaß dabei ganz, dass sie genauso die Kupplerin gab wie damals ihre Eltern. »Ist sie nicht hübsch?«
    Cristóbal sagte nichts. Er sah während der gesamten Unterhaltung zu Boden. Der Flusswächter knetete nervös seine Hände, Consuelito schlürfte ihre Schokolade, und Doña Julia vermittelte, betonte die Reize der einen und unterstrich die Vorzüge des anderen. Cristóbal Zapata schwieg noch immer, als sie sich an der Tür der Druckerei verabschiedeten und er langsam wieder zu seinem Arbeitsplatz zurückging. Er nickte, als Julia ihm erklärte, dass das Mädchen aus einer achtbaren Familie stamme, was für Cristóbal indes nicht dasselbe war wie eine gute Familie. Ein Mädchen, das ihm gewiss starke, hübsche, gesunde Kinder schenken würde. Cristóbal verlor gegenüber den Angestellten der Druckerei kein Wort über die Angelegenheit, obwohl sie ihn mit einem wissenden Lächeln beäugten. Am Abend war er der Letzte, der ging. Er löschte das Licht und schloss die Tür ab. Dann schlenderte er zum Punta del Diamante, bestellte ein Glas Wein und trank es in einem Zug aus. Er bestellte noch eines, und noch eines, und noch eines, bis das Leben verschwamm.
    »Die Tochter eines Flusswächters«, murmelte er abfällig, während er sich mit dem Hemdsärmel den Wein vom Mund wischte.
    ***
    IN DEN NÄCHSTEN JAHREN machte Doña Julia aus ihrer Druckerei das beste Verlagshaus von Sevilla. Die Drucker der Stadt schienen sie endlich als Kollegin zu respektieren und nicht länger nur als Frau zu sehen. Sie war klug genug zu erkennen, dass die Nachfrage nach Gedrucktem täglich zunahm. Immer mehr Menschen konnten lesen, und folglich gab es immer mehr Leute, die nach Wissen lechzten. Die Druckerei war ein einträgliches Geschäft. Es wurden neue Maschinen angeschafft, mehr Personal eingestellt, und die Produktion wurde verdoppelt.
    Julia wurde auch weiterhin ihrem Ruf als stolze, strenge Chefin gerecht. Sie sprach nicht direkt mit den Angestellten, sondern bediente sich Cristóbals als Mittler und begann sich dagegen zu verwahren, dass die Herren ihr zur Begrüßung die Hand küssten. Sie war so beschäftigt, dass Mamita Lula die Führung des Haushalts komplett übernahm. Die Dienerschaft gehorchte der Schwarzen bedingungslos. Nur in der Erziehung des Kleinen ließ sie sich von niemandem reinreden oder helfen.
    »Lasst bloß die Finger von dem Jungen, das ist meine Sache!«, waren ihre üblichen Worte.
    Unterdessen wuchs Abel zwischen tintenbeschmierten Männern, Flugblättern und ratternden Maschinen in der Druckerei auf. Er bewegte sich geschickt zwischen den Arbeitern und trug mit stets in Falten gelegter Stirn Sachen hin und her. Noch bevor er sprechen lernte, konnte er die Buchstaben unterscheiden. Er nahm den Kasten mit den beweglichen Lettern, sein Vater bat ihn um ein A, ein J, ein W, und der Junge reichte sie ihm, ohne sich je zu irren. Als er anfing zu sprechen, buchstabierte er zu Mamita Lulas Verblüffung so schwierige Wörter wie »Hagestolz« oder »verunglimpfen«.
    »Die ersten Wörter, die ein anständiges Kind sprechen sollte, sind ›Mama‹ und ›Papa‹«, sagte sie. »Was zum Teufel ist ›verunglimpfen‹?«, fragte sie, um dann mit angewidertem Gesicht festzustellen: »Mit Sicherheit irgendein Schweinkram.«
    Abel wuchs in der Überzeugung auf, dass Mamita Lula das Sagen hatte. Er lernte von klein auf, dass es nicht in die Zuständigkeit der

Weitere Kostenlose Bücher