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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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des Unrechts beherrscht, weil die Art des Verbrechens nicht erkannt und die Falschen verurteilt worden waren?
    Merrily betete schweigend um Erkenntnis, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was das richtige Vorgehen war, und intonierte dann laut: «Oh Gott, ohne Deine Hilfe können wir Deinen Willen nicht erfüllen, erweise uns die Gnade, dass uns Dein Heiliger Geist in allen Dingen leiten und in unseren Herzen wohnen möge, durch Jesus Christus unseren Herrn. Amen.»
    «Amen», kam es von Stock und Lol. Nicht von Stephanie – sie wirkte irgendwie abwesend, wie sie da in einer von der Mittagssonne verursachten Lichtsäule stand. Stock sah neben ihr dagegen grob und schwerfällig aus. Plante Stephanie schon ein eigenes Leben für sich allein, an einem anderen Ort? Und wo sollte Stock hin, falls sie ihn verließe? Das Haus gehörte immerhin ihr.
    «Nun würde ich gern   … einen Moment der Stille folgen lassen», sagte Merrily. «Wenn Sie damit einverstanden sind.»
    «Klar.» Stephanie klang desinteressiert, und Stock funkelte sie an wie ein missbilligender Vater, doch er sagte nichts. Merrily wandte den Blick von den sich kreuzenden Sonnenstrahlen ab, die durch die drei winzigen Fenster fielen, und blickte auf den Fliesenboden, auf dem Stewart Ash getötet worden war. Dann schloss sie die Augen.
    Alles war grau.
    Stewart   …?
    Sie achtete darauf, ihm kein Signal zu senden, ihn nicht zurückzurufen. Es ging für sie nur darum, empfänglich zu bleiben. Sie hielt die Augen geschlossen und verbannte jeden Gedanken aus ihrem Kopf. Vom Kühlschrank kam ein metallisch zitterndes Geräusch, dann herrschte relative Stille.
    Stewart   … fürchten Sie sich nicht davor loszulassen. Ich weiß, das alles ist verwirrend für Sie. Sie müssen unglaubliche Ängste ausgestanden haben und völlig außer sich gewesen sein. Sicher haben Sie unter all den Schmerzen ein schreckliches Gefühl des Verrats empfunden. Vielleicht haben Sie dieses Gefühl immer noch. Aber ohne Ihre Vergebung
wird sich daran nichts ändern. Versuchen Sie, Ihre Verbitterung aufzugeben. Wir sind bei Ihnen. Gott ist mit Ihnen. Lassen Sie los. Bitte.
    Sie hob ihr Gesicht dem mittleren Fenster entgegen, durch das die Sonne nun voll hereinstrahlte, sodass sie durch die geschlossenen Augenlider ein orangefarbenes Schimmern wahrnahm. Sie bat Gott darum, an diesen Ort einzukehren, denn es war immer besser, das Licht willkommen zu heißen, als nur die Dunkelheit zu vertreiben.
    «Jesus, wir bitten dich darum, Stewart von allen irdischen Fesseln zu befreien, damit er Eingang finde in das Licht und die Wärme und die Erhabenheit Deiner unendlichen Liebe.»
    Sie neigte den Kopf.
    Jetzt kam die Bitte: eine Aufforderung an den Geist, diese Welt im Namen seines Schöpfers zu verlassen. Eine Anrufung Gottes, Seine Engel zu schicken, damit sie Stewart heimführten. Irgendetwas bewog Merrily, die Gebete um die Reue der Mörder auszulassen. Es schien ihr besser, die Mörder, wer immer sie auch gewesen sein mochten, außen vor zu lassen.
    Als Nächstes: die Reinigung.
    «Vater, Du hast die Macht des Todes überwunden, stärke uns nun mit Deinem Geist und erfülle uns mit der Kraft, dieses Haus auf rechte Art zu segnen. Lass alle bösen Geister ausfahren und den Engel des Friedens einkehren. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Amen.»
     
    Lol dachte:
Das muss alles ein Riesenschwindel sein. Aber wer benutzt hier wen?
    Durch halbgeschlossene Lider beobachtete er die Pfarrerin, seine Freundin – sie hatte die Hände gefaltet, die Fingerspitzen parallel zum Nasenrücken ausgerichtet, und das Pektoralkreuz fing die Sonnenstrahlen durch das umgekehrte V ein, das ihre schwarzgewandeten Unterarme bildeten.
    Sie tat ihr Bestes für diese Leute: kein Schwindel, keine Heuchelei.
    Merrily. Wenn es doch nur   …
    Stephanie Stocks bloßer Arm fuhr wieder über seinen. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken.
    Merrily öffnete die Augen unter den Strahlen der Sonne, die durch das mittlere Fenster hereinfielen. Einen Moment lang war sie geblendet und spürte eine extreme Hitze überall um sich herum, so als stünde hier immer noch ein beinahe glühender Brennofen, dessen Türen mit einem Mal aufgerissen worden waren.
    Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn, und ihre Kehle war rau. Sie unterdrückte einen Hustenreiz.
    Oh Gott.
    Es hatte sie unvorbereitet erwischt. Bis zu diesem Augenblick war gar nichts gewesen, es hatte sich sogar ein gewisses Gefühl der Enttäuschung breitgemacht,

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