Der Turm der Seelen
Sally gewesen, die ihm daraufhin halb im Scherz vorgeschlagen hatte, eine Klausel in das Testament aufzunehmen, die den Verkauf verbot – und Lake diese Tatsache unter die Nase zu reiben, um sich wenigstens ein bisschen zu rächen. Was das Buch anging, hatte Sally angeboten, die Fotos von Stewart zu übernehmen, das Buch mit den Fotos unter ihrem Namen zu veröffentlichen und es im Museum zu verkaufen.
«Er hätte natürlich den gesamten Gewinn haben sollen», sagte Sally.
«Und wie hat Stewart reagiert?»
«Er wollte darüber nachdenken», sagte Sally. «Und das tat er auch noch, als er ermordet wurde.»
«Von wem?»
Al fuhr auf. «Heilige Jungfrau Maria, hier gibt es kein großes Geheimnis zu entdecken, mein Junge. Stewart war schwul. Er hat an einem Buch über die Hopfenpflücker von ehedem gesessen, und seine Recherchen haben ihn tatsächlich mit ein paar sehr netten Zigeunerjungs in Kontakt gebracht. Die meisten Zigeuner haben keine großen Hemmungen, wenn es um Sex geht. Zwanzig Pfund für drei Minuten Handarbeit würde sogar sehr akzeptabel klingen.»
«Und das sind nette Jungs», sagte Sally zynisch. «Sehr freundlich. Er hat ihnen vertraut. Also waren wir vielleicht nicht die Ersten, die diese Bilder zu sehen bekommen haben.»
«Stellen wir uns doch mal vor», sagte Al, «dass Stewart den Smith-Jungs eines von den Bildern gibt und sie bittet, mal ein bisschen bei ihren Leuten rumzufragen, ob jemand weiß, wer das Mädchen ist. Einen Tag später kommen sie wieder, großes Kopfschütteln: ‹Tut uns unheimlich leid, Chef, aber bei uns kennt die niemand.›»
Al ließ sein Koboldgrinsen aufblitzen.
«Aber in Wahrheit hat eine Person aus der Familie, deren Rat man keinesfalls in den Wind schlagen sollte, zu den Smith-Jungs gesagt:
Es ist eure Pflicht der Familie gegenüber, uns sämtliche Fotos zu beschaffen, auf denen sie zu sehen ist. Und wenn ihr nicht für den Rest eures Lebens eure Ehre verlieren wollt, dann bringt ihr die Bilder das nächste Mal mit …
»
«Also haben es die Smiths tatsächlich getan», sagte Merrily.
«Ich hatte daran nie den geringsten Zweifel. Man konnte es durchaus so sehen, wie es vor Gericht formuliert wurde: als Einbruchsversuch. Sie wollten die Bilder – alle. Und das Buch natürlich auch, ganz gleich, wie weit Stewart damit inzwischen gekommen war. Sie wollten herausfinden, was Stewart wusste und was wirklich mit Rebekah Smith passiert war. Das war eine
sehr
wichtige Mission. Und wenn es um irgendetwas anderes gegangen wäre als um dieses Buch, an dem sein Herz hing, hätte Stewart gesagt: ‹Los, macht schon, nehmt es, nehmt alles mit.›» Al ließ sich zurücksinken. «Alles, aber nicht dieses verdammte Buch.»
Ein großer Nachtfalter mit schwarzen Kreisen auf den Flügeln ließ sich mitten auf dem Tisch nieder, krabbelte ein bisschen herum und flatterte dann wieder weg.
«Und das war’s dann mit Stewart», sagte Al.
Lol fragte weiter nach den Bildern. Wo waren sie jetzt? Wenn die Smith-Jungs sie tatsächlich mitgenommen hatten, wem hatten sie die Fotos gegeben? Oder waren sie in Panik geraten und hatten gar nicht weiter danach gesucht?
Lol erschien Merrily richtig besessen. Es kam ihr vor, als wollte er sämtliche Geheimnisse von Knight’s Frome ausbreiten, wie das gewendete Heu auf den Feldern.
«Wenn die Fotos bei der Familie sind», sagte Al, «werden sie davon jetzt garantiert kein Sterbenswörtchen verlauten lassen, jedenfalls nicht, bis die Berufungsverhandlung vorbei ist. Die Bilder würden die Jungs nämlich sehr stark belasten. Außerdem ist inzwischen ohnehin alles sinnlos. Man kann schließlich nicht den Mord an einem Unschuldigen damit rechtfertigen, dass man die Schuld eines anderen beweisen wollte, der schon lange tot ist.»
«Und davon abgesehen», sagte Merrily, «ist auf den Bildern nur ein nacktes Mädchen zu sehen. Sie beweisen nicht, wer sie aufgenommen hat oder was aus dem Mädchen geworden ist.»
Lol ließ seinen Blick von Al zu Sally wandern. «Und was ist aus ihm geworden?»
«Das weiß niemand», gab Sally zu. «Wir wissen nicht, wie das Verhältnis zwischen Rebekah und Lake zustande kam, wer vonihnen den anderen verführt hat, wer von ihnen den anderen ausgenutzt hat. Aber alles, was ich von Conrad weiß, deutet darauf hin, dass die Sache schon lief, bevor ihn Caroline verlassen hat. Er hätte bestimmt eine perverse Befriedigung daraus gezogen, sich für ihre Freundschaft mit den Roma mit einer ganz besonderen
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