Der Turm der Seelen
deren Augen weiße Ringe geschmiert worden waren.
«Normalerweise berühren die Leute gern ihr Kleid», sagte Layla Riddock, «um geheilt zu werden.»
Jane erinnerte sich, schon einmal gehört zu haben, dass die Zigeuner ihre eigene heilige Jungfrau hätten, die sie als Schutzpatronin oder Göttin ansahen: die Schwarze Madonna.
«Das ist Sara», sagte Layla Riddock wie nebenbei. «Sie hat uns wirklich geholfen. Amy war mit so viel erstarrtem Religionszeug vollgepumpt, dass wir sie erst mal langsam entwöhnen mussten.Sara ist die Schwarze Madonna, und das hat zwei Seiten. Entweder ist sie eine Heilige, möglicherweise auch die Umkehrung einer Heiligen – oder sie ist eine halbchristliche Muttergöttin. Auf jeden Fall hilft sie einem. Amy findet zu ihrer richtigen Mutter und auf diesem Weg auch zu ihrem eigenen, wahren Selbst.»
«Wo ist Amy?», sagte Eirion.
«Hast du ihm eigentlich nur diese Worte auf Englisch beigebracht, Jane?» Layla warf ihr Haar zurück. Jane ahnte zum ersten Mal, wie erschreckend intelligent Layla war. «Pass mal genau auf:
Ich – weiß – es – nicht
. Vielleicht ist sie wieder nach Hause gegangen. Vielleicht irrt sie irgendwo draußen rum. Vielleicht hat sie einen Vergewaltiger hier reingelassen.»
«Nicht»
, rief Jane. «Rede nicht so.»
… de … icht so …
warfen die Wände ihre Worte zurück. Das Gebäude war sehr leer und sehr groß, größer als eine durchschnittliche Dorfkirche. Und Layla schien sich hier sehr zu Hause zu fühlen.
«Deine Mutter war bei uns, um mit Allan zu sprechen», sagte sie. «Und mit mir.»
«Was?»
«Gestern. Sie hatte noch eine andere Frau dabei, mit der sie nach Amy gesucht hat. Wusstest du das nicht?»
«Nein.»
«Komisch, es klang nämlich so, als hätte ihr jemand haarklein alles über das Experiment in Steves Schuppen erzählt.»
«Ach ja?» Jane ging noch einen Schritt rückwärts und stieß gegen etwas Niedriges. Ein alter Futtertrog.
«Tja, das war nicht sehr nett, deine besten Freundinnen zu verpetzen. Und außerdem hast du mir damit einen hässlichen kleinen Streit mit Allan beschert, sodass es richtig kompliziert war, dort heute Abend wegzukommen. Ich hatte mich hier mit Amy verabredet, aber ich bin zu spät gekommen, und jetzt ist siewahrscheinlich beleidigt. Ihr könnte inzwischen alles Mögliche passiert sein. Nur weil du unbedingt quatschen musstest.»
«Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Meine Mutter hatte richtig Stress mit dem Bischof, weil Amy alles auf
mich
geschoben hat. Weil sie nämlich Angst hatte, deinen Namen ins Spiel zu bringen. Was hätte ich da wohl sonst machen können?»
Layla schüttelte angewidert den Kopf. Der Ring in ihrem Nabel blitzte auf wie der Rand einer Münze. Jane war fassungslos und auf sich selbst wütend. Wie hatte sie es zulassen können, dass jetzt alles umgedreht wurde?
«Jedenfalls», hörte sie sich bockig sagen, «warst du diejenige, die sie in die Falle gelockt hat.»
«Das hat dir wohl Kirsty erzählt, was?»
«Es stimmt doch auch. Du hast doch einen totalen Hass auf die Familie, seit Amys Vater deine Wahrsagerinnen-Vorstellung bei dem Weihnachtsbasar beendet hat.»
Layla lächelte. «Oh Jane, man vergisst wirklich viel zu leicht, wie
jung
du noch bist …»
Jane biss die Zähne zusammen. «Vorsicht,
Cariad »
, flüsterte Eirion.
«Glaubst du wirklich, ich würde mir
deshalb
diese ganze Mühe machen?», schrie Layla wütend. «Wer bin ich denn, verdammt nochmal?»
«Du hast alle möglichen schlimmen Sachen vorausgesagt. Du hast eine alte Frau mit dem Gedanken nach Hause geschickt, dass sie bald stirbt …»
«Ja, meine Güte, weil ich total abgenervt war! Ich war vorher mit ein paar Typen im Pub, und dann musste ich zurück in die Schule und diese Klamotten anziehen, und ich hab’s einfach nicht
ausgehalten
, all diesen Du-wirst-reich-und-machst-eine-interessante-neue-Bekanntschaft-Scheiß von mir zu geben. Also hab ich es einfach zugelassen.»
Jane starrte Layla an, wie sie in ihrem schwarzen Top und den schwarzen Jeans neben der Schwarzen Madonna mit ihrem weißen Gewand und einem weißen Kopfschmuck stand.
«Ich
kann
diese Sachen. Das
Dukkering
. Es ist eine Mischung aus Erkenntnis und Beschiss. Man macht seine Sprüche, und manchmal ist was Wahres dran. Aber man beobachtet auch genau, versucht einzuschätzen, was für einen Kunden man da vor sich hat, und richtet seine Vorhersagen danach aus. Aber ich war eben genervt, hab ich ja schon
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