Der Turm von Zanid
machte, ging er im Geist die verschiedenen Möglichkeiten durch. Bei einigermaßen klarem Kopf hätte er vielleicht als erstes darüber nachgedacht, dass es in Balhib den Frauen schließlich freistand, ihren Jagain nach Belieben zu wechseln. Aber in seinem jetzigen Zustand brachte ihn die bloße Vorstellung, dass Gazi ihn wegen Kordaq verlassen haben könnte, derart in Rage, dass er zu keiner vernünftigen Überlegung mehr fähig war.
Er würgte hastig sein kaltes Frühstück hinunter, zog die Stiefel an, schnallte sein Schwert um und machte sich unrasiert, wie er war, auf den Weg zu den Kasernen am Ostrand der Stadt. Die Sonne war erst eine knappe Krishnastunde zuvor aufgegangen, und eine frische Morgenbrise ließ die Staubteufel auf den Straßen und Plätzen tanzen.
Nach einer halbstündigen Fahrt mit dem Aya-Omnibus erreichte er die Kaserne, wo ein griesgrämig dreinblickender Wachhabender ihm den Weg zu Kordaqs Wohnung beschrieb. Nach einer abermaligen halben Stunde war seine Suche beendet.
Das Haus, in dem Kordaq wohnte, stand am Nordende des Kharju, wo die Geschäfte und Banken dieses Viertels den mittelständischen Wohngegenden des Zardu wichen. Fallon las die Namen der Hausbewohner auf dem Schild neben der Tür und stapfte die Treppe in den dritten Stock hinauf. Er vergewisserte sich, dass er vor der richtigen Tür stand, holte noch einmal tief Atem und schlug dann den Gong neben der Tür an.
Als keine Reaktion erfolgte, schlug er erneut, etwas nachdrücklicher diesmal, und schließlich, als sich noch immer nichts tat, klopfte er an – was bei den Balhibuma sehr unüblich war. Endlich, nach langem Warten, hörte er im Innern Schritte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und vor ihm stand ein äußerst verschlafener und ziemlich verwirrt dreinblickender Kordaq. Das grüne Haar war zerzaust, eine Decke schützte die knochigen Schultern gegen die morgendliche Kühle. In der Hand hielt er ein blankes Schwert. Letzteres war nicht weiter erstaunlich, denn wer zu solch früher Stunde an die Tür klopfte, konnte ebenso gut ein Räuber sein.
»Was im Namen von Hois grünen Augen …«, knurrte Kordaq ungehalten. »Oh, Ihr seid es, Meister Antane! Was führt Euch hierher, dass Ihr mich zu solch früher Stunde aus dem Schlummer reißt? Eine arge Notlage, vermute ich.«
»Wo ist Gazi?« fragte Fallon, während seine Hand sich unauffällig zum Schwert tastete.
Kordaq versuchte augenblinzelnd den Schlaf zu vertreiben. »Ach«, sagte er mit argloser Miene, »da sie mir die Ehre erwiesen hat, mich als ihren neuen Jagarn zu nehmen – als Folge Eurer Narrheit von gestern Abend, durch welche sich trotz all meiner Bemühungen Eure Täuschung enthüllte –, ist sie jetzt bei mir. Wo sonst?«
»Ihr … Ihr gebt also ganz offen zu …«
»Wieso zugeben? Ich sage es Euch ganz geradeheraus. Doch jetzt schafft Euch von hinnen, mein Teurer, und lasst mich meinen so jählings unterbrochenen Schlummer fortsetzen. Und ich darf Euch bitten, das nächste Mal, wenn Ihr einen des Nachts tätigen Mann besuchen wollt, doch eine geziemendere Stunde zu wählen.«
Fallon kochte vor Wut. »Ihr meint, Ihr könnt einfach mit meiner Frau auf und davon gehen und mir dann sagen, ich soll wieder verschwinden, damit Ihr schlafen könnt?«
»Was wollt Ihr, Erdenmensch? Hier ist nicht das barbarische Qaath, wo Frauen Privateigentum sind! Und nun hinaus mit Euch, ehe ich Euch eine Lektion in Benehmen erteile …«
»Ach? Ja?« schnaubte Fallon. »Ich werd Euch zeigen, wer hier wem Benimm beibringt!«
Er trat einen Schritt zurück, riss sein Schwert hinter dem Rücken heraus und griff an.
Noch immer ein wenig schlaftrunken, zögerte Kordaq für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er sich entschied, ob er der Attacke begegnen oder dem Angreifer die Tür vor der Nase zuschlagen sollte. Seine Unentschlossenheit kostete ihn beinahe das Leben. Nur durch eine hastige Parade, verbunden mit einem Rückwärtssprung, entging er um ein Haar der Aufspießung.
Durch seinen Sprung jedoch hatte er sich der Kontrolle über die Tür begeben; Fallon stürmte hinein und stieß mit dem Absatz die Tür hinter sich zu.
»Wahnsinniger!« stieß Kordaq hervor. Gleichzeitig riss er sich die Decke von den Schultern und schlug sie sich blitzschnell um den rechten Arm, um einen behelfsmäßigen Schutzschild zu haben. »Euer Untergang ist besiegelt!« schnaubte er und ging zum Gegenangriff über.
Mit lautem Klirren schlugen die beiden schweren Klingen aufeinander.
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