Der Tyrann von Hades
es tun – als den Lebensraum einiger, weniger Menschen. Du hast nicht ohne Grund den Kurs hierher eingeschlagen, Maq. Was glaubst du, wer ist der Tyrann?«
»Hier geht es nicht so sehr um einen Tyrannen als um Tyrannei an sich. Es kann nicht nur einen Tyrannen geben, weil seine Kommunikationswege auf dem größten Teil der Schale länger als die von Zeus wären. Wie stellen die Tyrannen es also an, die Kontrolle über die Maschinen zu gewinnen, die der Schale dienen? Nur, indem sie die Herrschaft über Zeus’ lokale Exekutivzentren erringen, die sich um die Routinevorgänge auf der Schale kümmern.«
»Und?«
»Interessanterweise stimmt die optimale Anzahl von Tyrannen zur Beherrschung der Schale ziemlich genau mit der geschätzten Anzahl lokaler Exekutivzentren überein. Ich vermute, daß Zeus’ superintelligente Verwalter gegen ihren Herrn rebellieren.«
Sine Anura dachte einen Augenblick über Ancors Vermutung nach.
»Aber könnte Zeus damit nicht selbst fertig werden? Er könnte sie doch einfach abschalten.«
»Möglicherweise ja, aber dann würde das ganze System zusammenbrechen. Zeus kann die Schale wegen der vierstündigen Verzögerung zwischen der Erteilung von Anweisungen und deren Ausführung nicht selbst verwalten. Aus’ diesem Grund existieren die lokalen Exekutivzentren überhaupt – um Zeus’ langfristige Politik zu interpretieren und sie vor Ort ohne Rücksprache in die Tat umzusetzen. Wenn Zeus die Zentren abschalten würde, würde die Schale sterben und mit ihr alle Bewohner. Und obwohl die Schale nur dünn besiedelt ist, hieße das immer noch ungefähr fünf Billiarden Opfer.«
»Und was ist mit diesen Leuten? Wenn wir dem Glauben schenken, was man uns erzählt hat, dann laufen sie alle mit roten Hüten herum und sind verkabelt. Wer drückt die Knöpfe am anderen Ende der EGS-Apparate?«
»Ich denke, die Antwort darauf ist simpel: die Tyrannei. Meiner Einschätzung nach sind auf der Neptun-Schale Menschen und Maschinen miteinander verbunden. Und zusammen ergibt das den Tyrannen – einen gewaltigen bioelektronischen Komplex. Frag mich nicht, wie das alles angefangen hat, aber sobald es losging, war es nicht mehr zu stoppen. Wenn eine Gruppe von Bürgern beschließt, daß sie selbst, ihre Kinder und alle Neuankömmlinge mit EGS verkabelt werden, dann wird sie immer die Oberhand behalten, weil sie in Gedankenschnelle miteinander kommunizieren und dazu noch über den eingebauten Funk Robotverstärkung anfordern kann.«
»Mir war nicht klar, daß sie das können.«
»Weißt du noch, wie in Seonasere die Roboter von den Feldern kamen? Und wie sie nach Carim Carims Tod das Interesse an uns verloren? Wir sind nur dank Cherrys Holo-Tricks und unserer schweren Bewaffnung entkommen. Das sind zwei Vorteile, die die meisten Menschen auf der Neptun-Schale nicht haben.«
»In Ordnung, nehmen wir einmal an, daß dieses bioelektronische Monster sich breitgemacht hat. Aber wozu?«
»Was die Maschinen angeht, ist das nicht schwer zu erklären. Sie müssen sich nie den Kopf über Zeus’ Hauptproblem – was soll mit der endlos wachsenden Bevölkerung geschehen? – zerbrechen: Jeder, der sich EGS unterzieht, trägt nicht mehr zur Bevölkerungsexplosion bei.«
»Wie kommst du darauf?«
»Carim Carim sagte uns, die Einwohnerzahl der Neptun-Schale wäre seit Jahrhunderten stabil. Und das hat wohl kaum einen natürlichen Ursprung. Der Grund dafür ist vielmehr, daß der Tyrann die sexuelle Erregung eines Menschen überwachen und sie bei Bedarf abwürgen kann, wie du selbst am eigenen Leib festgestellt hast. Es ist ganz einfach, Sine: Wenn man die sexuellen Bedürfnisse einer Bevölkerung kontrolliert, kann man ihr Wachstum auf Null bringen.«
»Zugegeben, das ist ein origineller Ansatz zur Geburtenkontrolle«, sagte Sine. »Aber was springt außer sexueller Frustration für die Menschen dabei heraus?«
»Sie leben wie Fürsten, all ihre materiellen Bedürfnisse werden mehr als erfüllt. Aus ihrer Sicht ist alles hervorragend eingerichtet. Ich glaube, daß sie die schönste und ausgeglichenste Existenz im ganzen Universum genießen.«
»Du hörst dich fast so an, als ob du auf ihrer Seite stündest, Maq.«
»Es gibt gute Gründe dafür, in völliger Eintracht mit der eigenen Umwelt zu leben, aber die Umwelt darf nicht die Macht haben, das Individuum dazu zu zwingen, in völliger Eintracht mit ihr zu leben.«
»Das Zentrum des Sturms zieht weiter, Maq«, berichtete Cherry. »Aber dort unten ist
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