Der Überläufer: Tweed 3
wichtig.
Monica hatte Welwyn, den Chiffrierbeamten in der Admiralität, sofort nach Tweeds Anruf telefonisch verständigt. Tweed hatte ihr vor dem Abflug nach Stockholm das Signal – eine bestimmte Nummernkombination – hinterlassen. Monica hatte den Eindruck, es liege Jahre zurück.
Welwyn reagierte prompt. Die Nummernkombination, ihr voran der Kennruf, wurde in die Atmosphäre ausgestrahlt. An Bord des Trawlers
Saaremaa,
der im Hafen von Tallinn lag, saß der Funker, Olaf Priis Bruder, über seinen Empfänger gebeugt und schrieb die Nummern auf einen Block.
Als das Signal zu Ende war, wickelte er das Notizblatt in Öltuch und verstaute es in einem Schrank unter einem Stapel Leinwand.
Daß eine russische Abhörstation das Signal auffangen könnte, ängstigte ihn nicht. Wenn das der Fall war, dann gab es in der ganzen Sowjetunion keinen Dechiffrierexperten, der den Schlüssel dieses Codes knacken konnte. Nicht nur die Russen verwendeten Einmal-Codes.
Nachdem sie Welwyn angerufen hatte, tätigte Monica einen weiteren Anruf, diesmal ein Ferngespräch. Tweed hatte ihr erklärt, die beiden stünden im Zusammenhang, in welchem, davon hatte sie nicht die leiseste Ahnung.
Sie rief das SAS-Hotel in Kopenhagen an, das direkt an der Hauptstraße liegt, die von der Innenstadt zum Flughafen Kastrup führt. Der Hubschrauberpilot Casey lag auf dem Bett und las »Das Geheimnis des Edwin Drood«, als der Anruf kam. Er liebte Dikkens, und er hatte sich mit seinem Copiloten Wilson darin abgewechselt, neben dem Telefon zu wachen.
»Hier Casey.«
»Hier Monica – was nichts mit Dickens zu tun hat.«
»Warum nicht? Dickens ist ein verdammt guter Schreiber.«
»Die Fahrt ist abgesagt«, fuhr sie fort. Damit hatten sie sich durch vorher vereinbarten Wortlaut zu erkennen gegeben. »Sie können Urlaub nehmen. Nicht zu viele Frauengeschichten diesmal.«
»Warum nicht? Ich liebe Dickens und ich liebe die Frauen.«
Innerhalb einer Stunde war die große Alouette startklar. Casey, ein Spaßvogel von etwa dreißig Jahren, saß an den Hebeln, neben ihm Wilson, ein eher schweigsamer Typ. Er ließ die Maschine abheben und steuerte sie ostwärts, über den Öresund, die schmale Wasserstraße zwischen Dänemark und Schweden. Einen Kaugummi zwischen den Zähnen, brachte er die Alouette auf größere Höhe. Es würde ein langer Flug werden.
Seine Route würde ihn quer über den großen Zeh Südschwedens und dann Richtung Nordost nach Arlanda führen, wo er auftanken mußte. Von Arlanda ging es dann unterhalb der Radarpeilung nach Süden zur Insel Ornö im Schwedischen Archipel.
Er hatte vor, an einer abgelegenen Stelle zu landen und auf die letzten Anweisungen zu warten. Die Alouette war mit einem starken Funkgerät neuester Konstruktion ausgerüstet. Zudem war Wilson ein erfahrener Funker. Auf Ornö würden sie das Signal empfangen, das sie an ihren Bestimmungsort weiterleitete: den Hubschrauberlandeplatz am Ufer nächst dem Hotel
Kalastajatorppa.
Während Newman und Sarin mit ihren Gastgebern im Hotel
Olympia
zu Abend aßen, machte Kapitän Olaf Prii seinen Abendspaziergang durch Tallinn. Schließlich erreichte er die menschenleere Pikk-Straße.
Er schlenderte weiter, blickte zum Himmel empor, der von Sternen übersät war, die im samtenen Schwarz dieser Nacht besonders hell leuchteten. Bei der Dicken Margarete blieb er stehen und ließ den Blick an dem riesigen Bauwerk emporwandern, wie Newman es einige Zeit vorher getan hatte.
Er wandte sich nach links und holte sein Fahrrad, das hinter dem Großen See-Tor stand. Flink kurbelten Priis lange, kräftige Beine zum Hafen. An Bord der
Saaremaa
ging er geradewegs zum Funkraum. Sein Bruder hob den Kopf, als er eintrat und die Tür schloß.
»Es ist gekommen«, sagte er.
Er holte das Notizblatt aus dem Versteck, reichte es Olaf und versperrte die Tür. Der Kapitän zog ein winziges Notizbüchlein aus einer Geheimtasche eines seiner Seestiefel und ließ sich nieder, um den Code zu entschlüsseln. Er arbeitete langsam und sorgfältig und brauchte eine halbe Stunde, bis er zu einem befriedigenden Ergebnis kam.
Die Nachricht war in Deutsch abgefaßt, der Sprache, in der er sich mit Tweed in Harwich unterhalten hatte. Er las sie zweimal; dann zog er eine Streichholzschachtel aus der Tasche und verbrannte das Papier in einer Untertasse. Dann ließ er auch das Blatt aufflammen, auf dem der Schlüssel des Codes stand. Die verkohlten Reste spülte er im Waschbecken in der Ecke hinunter. Dann
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