Der Überläufer: Tweed 3
ständig fürchtete.
Sein Deckmantel wurde sehr sorgfältig aufgebaut. Seine Schwester, die in einem Brüsseler Nachtklub sang, beklagte sich jedem gegenüber, der ihr Gehör schenkte, daß man von Seiten der Diamantenbranche ihren Bruder recht dreckig behandelt habe. »Diese Schweine haben ihn auf den Müllhaufen geworfen«, lautete ihr ständiger Kehrreim. »Und das, nachdem er ein Leben lang alles über Diamanten, deren Käufer und Verkäufer studiert hat –
und dazu
alle verwendeten Sicherheitsmaßnahmen …«
Die letzten Worte folgten als Nachsatz – und es dauerte nicht lange, bis sich interessierte Leute fanden, die auf den ausgelegten Köder der im Nachsatz schlummernden Möglichkeiten anbissen.
Julius wurde von Menschen verschiedenster Nationalität aufgesucht, die er nie im Leben zuvor gesehen hatte. Er hörte ihnen zu und sagte dann: »Danke, aber ich bin nicht interessiert. In so etwas sehe ich keine Zukunft.«
Es dauerte nicht lange, bis ein Holländer aus Amsterdam Julius die Zukunft in den profitabelsten Farben schilderte. Die Hehler, die den Banden gestohlene Diamanten abnahmen, zahlten Preise für die »Ware«, die weit von deren wahrem Wert entfernt waren. Es war unter den Antwerpener Händlern kein Geheimnis, wer die Hehler waren, aber etwas zu wissen und es der Polizei auch beweisen zu können, das sind zwei verschiedene Dinge.
Julius Ravenstein jedenfalls, der eine Frau und deren betagte Verwandte zu erhalten hatte, stieg in einer Doppelfunktion ins Geschäft ein. Einerseits gab er unbekannten Personen, die ihn
vor
einem Raubüberfall aufsuchten, Ratschläge bezüglich des günstigsten Hehlers im Falle einer ganz bestimmten »Ware«.
Hierauf schlug er unverzüglich in Antwerpen Alarm, daß irgendwo ein Überfall geplant sei. Die Sicherheitsmaßnahmen in den Erzeugungsstätten wurden vervielfacht. Manchmal erwischte man die Räuber und lochte sie für lange Zeit ein. Manchmal entkamen sie.
Der Ausgang blieb ohne Einfluß auf Julius. Er verdiente mehr, als er je zuvor in seinem Leben in bar vor sich gesehen hatte. Die Räuber zahlten ihm für seinen Rat, an welchen Hehler man sich am besten wenden könne, ein hübsches Sümmchen – stets bar und im vorhinein. Und zu dieser dicken »Creme« aufs Brot kam noch der regelmäßige Brotverdienst, den die Diamantenhändler dem »Weißen Stern« – das war sein Code-Name – zahlten. Er war die beste Versicherung, die sie je abgeschlossen hatten.
Ravenstein war Tweeds letzter Kunde, mit dem er konferierte, bevor er in das Brüsseler
Hilton
zurückkehrte, um anschließend die Maschine zum Rückflug nach London zu besteigen. Er ließ sich vom Zimmerservice den Lunch bringen und aß allein, während er überschlagsmäßig feststellte, was er erreicht hatte. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr in solch wilde Aktivitäten gestürzt.
Bei jedem dieser Gespräche war der Name Adam Procane mehrmals gefallen. Während er seine Seezunge
meunière
verspeiste – Tweed liebte Fisch über alles –, kam er zu dem Schluß, daß Lisa Brandt in Frankfurt sein bestes Pferd im Stall war. Ravenstein war eine reine Spekulation. In außergewöhnlichen Fällen bezahlten sowohl amerikanische als auch sowjetische Agenten hochrangige Informanten mit gestohlenen Diamanten, die dann das auf unrechte Weise Erworbene in Bankschließfächern aufbewahrten.
Auf diese Weise tauchten auf ihren Konten niemals Einzahlungen höherer Beträge auf.
Die einzige Figur auf dem Spielbrett, die in diesem riesigen Spiel Anlaß zur Sorge gab, war Bob Newman, der in die empfindlichste Region geflogen war – nach Finnland. Er konnte sich als Joker im Kartenpaket erweisen – und Tweed war echt besorgt um Newmans Sicherheit.
Er schenkte sich Perier-Wasser nach und ging im Geist seine vier Informanten durch. Ironischerweise schenkte Tweed jenem der vier am wenigsten Beachtung, der das meiste Geschick in der Sache zeigte. Als Ergebnis der Bemühungen André Moutets machten in Paris Gerüchte die Runde. Gerüchte, die, während Tweed seinen Lunch beendete, dem Militärattaché an der Sowjetbotschaft in Paris bereits zu Ohren gekommen waren.
Aber noch hatte niemand eine Ahnung von dem, was Tweed hier auf raffinierte Weise gelungen war. Er hatte eine Zündschnur in Brand gesetzt. Sie führte zu zwei Pulverfässern, die nun drauf und dran waren, in die Luft zu fliegen.
6
»Die Information kommt aus Paris«, teilte General Wassili Lysenko seinem Untergebenen mit. »Wenn dieser Adam Procane
Weitere Kostenlose Bücher