Der Überläufer: Tweed 3
wird wieder kommen. Das Telefon läutete.
»Entschuldigen Sie, Sir«, meldete der Portier, »aber hier ist ein Herr, der Sie zu sehen wünscht. Ja, hier in der Rezeption. Er sagt, es sei dringend. Ein Mr. Mauno Sarin …«
12
Stilmar, einer der ersten Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, traf unangekündigt am Mittwoch, dem 5. September, am Park Crescent ein – am selben Tag, an dem Mauno Sarin Newman im Hotel
Hesperia
aufsuchte.
Wieder war es Howard, der ihn mit der Erklärung, sein Untergebener leite die Nachforschung in der Procane-Sache, zu Tweeds Büro geleitete. Dieser Mann stand Reagan so nahe, daß man ihm den Spitznamen »Reagans Ohr« gegeben hatte. Verglichen mit Cord Dillon war er ein völlig anderer Charakter.
»Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Tweed«, begann er, als Howard den Raum verlassen hatte. »In Washington hat man eine sehr hohe Meinung von Ihnen.«
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Tweed, nachdem sie einander die Hand geschüttelt hatten. »Eine Tasse Kaffee? Das ist Monica, meine rechte Hand. In meiner Abwesenheit können Sie mit ihr reden, als wäre ich Ihr Gesprächspartner.«
»Ah! Die Frau hinter dem Mann!« Stilmar stand auf und schüttelte Monica die Hand. »Und etwas Kaffee wäre schön.«
Stilmar war eine bemerkenswerte Erscheinung, ein Mann, der, wenn er einen Raum betrat, alle Gespräche zum Verstummen brachte. Einsfünfundachtzig groß, Mitte der Vierzig, das pech-schwarze Haar sauber gekämmt, mit einer randlosen Goldbrille auf der Hakennase.
Die Augen hinter den Brillengläsern waren dunkel und lebhaft, schienen alles mit einem Blick wahrzunehmen. Das glattrasierte Gesicht war faltenlos und zeigte einen rosigen Schimmer, der Mund war entschlossen, mit einem Anflug von Humor, das Kinn wohlgeformt. Er trug einen teuren dunkelblauen Anzug mit Nadelstreifenmuster. Seine Stimme klang fest und tief.
»Darf ich gleich zum Thema kommen und fragen: was wissen Sie inzwischen über diesen geheimnisvollen Adam Procane? Wir bekommen bereits recht beunruhigende Gerüchte aus Paris, Frankfurt, Genf und Brüssel herein. Was uns fehlt, ist jede Art von Beschreibung des Mannes. Er ist wie ein Phantom, das von jemandem erfunden worden ist.«
»Wir haben vage Beschreibungen, die vom Kontinent hereinkommen«, sagte Tweed. »Das Problem ist, daß sie sich alle widersprechen.«
»Nicht vier Procanes, bitte!« Stilmar hob in gespielter Verzweiflung die schmalen Hände, es war eine graziöse Bewegung, wie die eines Zauberkünstlers. »Einer ist schon um einen zuviel!«
»Es ist noch sehr früh. Wir müssen warten, bis sich der Nebel, der den Mann umgibt, zu lichten beginnt – und das wird er. Sobald wir an den Punkt gelangen, im Besitz wirklich positiver Daten zu sein, werde ich meine Informanten nach London bitten. Mit jedem von ihnen werden wir eine Sitzung mit Freddie arrangieren.«
»Und wer ist Freddie?«
»Ein Zeichner, der genial ist, wenn es darum geht, Phantombilder anzufertigen. Wenn wir so weit sind, zeige ich Ihnen die Ergebnisse, und man wird dann sehen, ob die Zeichnungen Sie an jemanden erinnern.«
»Darf ich fragen, von wo die gegenwärtigen vagen Beschreibungen kommen?«
»Von Kontaktpersonen meiner Informanten – also aus dritter Hand. Ich finde das unbefriedigend. Aber bis November haben wir’s.«
»Und der November rückt mit Düsengeschwindigkeit näher«, erwiderte der Amerikaner und verzog das Gesicht. »Welche Route wird Procane auf dem Weg nach Rußland nehmen, vorausgesetzt, daß er überhaupt existiert?«
»Man hat auf den Weg über Wien getippt.«
»Ich glaube das nicht.« Stilmars Augen glitzerten hinter den Brillengläsern. »Paris, Genf, Frankfurt und Brüssel sind bis jetzt nur Gerüchtelieferanten. Glauben Sie nicht, daß man mit Absicht unsere Aufmerksamkeit von einer ganz anderen Route ablenken will? Weiter im Norden vielleicht?«
»Wieviel weiter im Norden?« fragte Tweed ruhig.
»Skandinavien. Ist man einmal in Dänemark und fährt nach Osten, befindet man sich auch schon im neutralen Schweden. Und dahinter liegt Finnland.«
»Sie haben was gehört?« fragte Tweed.
»Eine bloße Bemerkung«, erwiderte Stilmar. »Was Sie außerdem wissen sollten: ich wohne unter dem Namen David Cameron im ›Dorchester‹. Das ist auch der Name, unter dem ich nach Paris, Genf, Frankfurt und Brüssel fahren werde, um selbst in Erfahrung zu bringen, was da wirklich los ist.«
»Man wird Sie bestimmt erkennen«, warf Tweed
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