Der Überlebende: Roman (German Edition)
die Ewigkeit angeschlossene Peter, wie er sich selbst und Greta als Kinder beobachtete.
Nachdem Pfarrer Grenzfurtner Peter in ein deutsches Internat gegeben hatte, kümmerte er sich kaum mehr um ihn. Peter freute sich so, dass ich ihn in die Ferien mitnahm. Von dem Moment an, als mir klar war, dass Peter gerade mit mir und Greta an der Ostsee war, hörte ich ihm nicht mehr zu. Meine eigenen Erinnerungen waren zu lebendig.
Ich habe zwei Blätter mit Würfelansichten gemalt. Schräg von oben sieht man jeweils drei Seiten der Würfel. Die beiden Bilder auf dem ersten Blatt stellen einen Würfel aus verschiedenen Perspektiven dar, den man in Pompeji gefunden hat: Die Verteilung der Punkte auf die Flächen entspricht nicht derjenigen der gewöhnlichen Würfel. Das erste Bild zeigt die Drei oben, in der auf dem Papier senkrechten Diagonale, darunter links die Fünf und rechts die Sechs, mit den auf dem Papier senkrechten Dreierreihen, auf dem zweiten Bild liegt die Zwei oben, in der auf dem Papier waagerechten Diagonale, darunter links die Sechs, mit den auf dem Papier perspektivisch waagerechten Dreierreihen, rechts die Vier. Die Ansichten auf dem zweiten Blatt zeigen die Eins auf der Deckfläche und auf den dem Betrachter zugewandten Flächen die Zwei und die Drei in allen graphisch möglichen Kombinationen.
Greta und Peter sollen sich die beiden Ansichten auf dem ersten Blatt merken und unter den acht Würfelansichten auf dem zweiten Blatt die einzige herausfinden, die zu den beiden Bildern passt, die einzige, die ebenfalls den Pompeji-Würfel abbildet. Ohne die Zeichnung mit den zwei Ansichten des Pompeji-Würfels vor sich zu haben und ohne Bleistift und Papier zu verwenden.
Die Kinder spielen manchmal Würfelspiele, vielleicht haben sie sich den gewöhnlichen Würfel unbewusst eingeprägt. Das würde die Aufgabe zu leicht machen. Deswegen habe ich den Pompeji-Würfel und nicht den gewöhnlichen Würfel gewählt.
Während sie versuchen, die Aufgabe zu lösen, sollen Greta und Peter mir beschreiben, wie sie die Würfelansichten im Geist manipulieren.
Greta, du verbarrikadierst dich in deinem türkisfarbenen Strandensemble gegen den Pompeji-Würfel! Den es in deinem Kopf und in dem von Peter geben soll und sonst nirgends!
Du reißt dir tatsächlich ein paar Haare aus, du denkst, damit kriegst du mich rum. Du kannst dich nicht an deine Mutter wenden, sie ist nicht mitgefahren, weil sie eine Ausstellung ihrer Gobelins in einer Galerie vorbereiten muss. Aber dann wirst du doch vernünftig. Du machst ein kleines, unbedeutendes Gesicht, schiebst den Brustkorb nach vorn und zwickst die Beine zusammen.
»Warum ist der Würfel so wichtig?«
»Der Würfel ist nicht wichtig. Was du dabei denkst, ist wichtig.«
Ich küsse dir die Hand und zwinkere dir zu: Den Scherz mach ich gleich noch mal! – Kicherst du, weinst du, winziges Mädchen?
Du siehst die beiden Würfel – auf dem Papier. Aber das Blatt Papier habe ich dir ja weggenommen. Also müssen die beiden Würfel in deinem Kopf sein. Kann man in den eigenen Kopf hineinblicken?, fragst du dich. Warum siehst du dein Gehirn nicht? Du wartest darauf, dass sich die Würfel auf dem Papier in deinem Kopf von selbst bewegen, so dass du nur hinsehen und hier! rufen musst, wenn das Bild einem der angebotenen Lösungsbilder gleicht. Aber die Würfel tun dir den Gefallen nicht. Du musst sie selber wenden, nicht mehr auf dem Papier in deinem Kopf, sondern losgelöst in deinem Kopf.
Du drehst den linken Würfel so, dass du die Sechs und die Drei, aber nicht mehr die Fünf siehst. Du merkst dir die neue Lage der Sechs und der Drei und drehst den Würfel zurück. Du drehst den Würfel genauso wie vorher und verfolgst die Fünf –
Ein ganz anderer Gedanke. Die beiden Würfel in deinem Kopf sind ja ein und derselbe. Die Sechs ist doppelt vorhanden, sie bildet die Brücke zwischen den beiden Bildern. Die Vier liegt an der Schmalseite der Sechs, also muss sie der Drei gegenüber sein. Die Fünf ist an der Breitseite der Sechs, also liegt die Zwei der Fünf gegenüber. Vier an die Sechs grenzende Bilder werden gezeigt, also muss sich die Eins der Sechs gegenüber befinden.
Du: eine Hoffnungsanwehung: Die Eins, die Vier und die Fünf sind von allen vier Kanten und allen vier Ecken aus gesehen gleich, die Zwei, die Drei und die Sechs sind nur von zwei Kanten und zwei Ecken aus gesehen gleich. Es kommt darauf an, wie jeweils genau die Zwei, die Drei und die Sechs liegen – kann
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