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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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geblieben?«
    »Ich glaube, wir waren gerade bei den Büchern, Rose.«
    »Ach ja, du hast recht, Jamie. Das und das mit dem Kochen. Aber weißt du, das mit dem Kochen ist das Wichtigste, deswegen komm ich da erst zum Schluss drauf.« Rose stand auf. »Entschuldige mich mal für ’ne Sekunde, Jamie. Ich muss nachsehen, ob die Törtchen aufgegangen sind.«
    Sie streifte die Katzenkopf-Topflappen über und öffnete die Ofentür. Heiße Luft strömte in die ohnehin schon überhitzte Küche. Sie stellte eines der dampfenden Bleche auf einen Rost zum Abkühlen.
    »Aber ich hab doch gar keine Bücher gelesen, Rose! Vielleicht ein oder zwei übers Farmen oder so.« Das war gelogen. In Wahrheit beschränkte sich Jamies Lektüre auf das Entziffern der Zubereitungsempfehlungvon Campbells Hühnersuppe. »Aber ich glaube, sie meint Romane und so, denn sie ist doch Lehrerin.« Er warf begehrliche Blicke auf die Marmeladentörtchen.
    »Die sind noch ein kleines bisschen zu heiß, Jamie, aber ich geb dir welche für zu Hause mit.«
    Sie hängte die Topflappen an ein Schild in Form eines Bullenkopfes, dessen Hörner allen möglichen Küchengeräten als Aufhänger dienten.
    »Also, mein Paddy hat hier unten ein paar Westernbücher, so mit Cowboys drin, verstaut.« Sie ließ sich mühsam auf ein Knie nieder und öffnete den Schrank rechts neben dem Herd. »Er macht sich jetzt nichts mehr draus, seine Augen sind auch nich mehr das, was sie mal waren.« Sie redete in den dunklen Schrank hinein. »Und du weißt ja, wie es heißt, Jamie: Selbst ein blindes Huhn findet im Dunklen kein Korn.«
    Mit knackenden Gelenken stand sie schwerfällig auf. Ihr Gesicht hatte das Rot der Rosen angenommen, die ihren ausladenden Busen zierten. Sie überreichte Jamie zwei schäbige, vergilbte Taschenbücher:
Der Mann aus Virginia
von Owen Wister und
Der Wanderer in der Wüste
von Zane Gray.
    »So, da sind sie. Guck da doch mal rein, bevor du sie triffst, Jamie, nur falls sie dich fragt, was drin vorkommt, denn du willst dich doch nich mit den Hörnern im Heu erwischen lassen oder wie man das nennt.«
    Jamie sah sich die Bücher an, blätterte in ihnen herum und fragte sich, warum sich die Vorbereitung auf das Treffen mit dieser Dame allmählich anfühlte wie eine Prüfung.
    »Prima, Rose«, sagte er leicht resigniert. »Wirklich vielen Dank. Bleibt nur noch die Frage zum Kochen.«
    »Ja, Jamie«, sagte Rose, suchte ein Spachtelmesser aus der Schublade und legte die Marmeladentörtchen auf eine durchbrochene Kuchen platte. »Tja, ich bin ja auch nich grad ’n Akademier, aber diese vornehmen Worte ›des kuli-ni-ari-schen Pro-zesses‹ sollen vielleicht Kochen und Backen heißen.«
    Sie bot Jamie ein Törtchen an und griff auch selbst zu. Dann setzte sie die Brille wieder auf und nahm stirnrunzelnd den Brief zur Hand.
    »Welche Gerichte bereiten Sie am liebsten zu?« Sie wiederholte den auffälligsten Satz noch einmal: »Welcher As-pekt des kuli—ni-ari-schen Pro-zesses interessiert Sie am meisten?«
    Rose sah ihn über ihre Brille hinweg an.
    »Ich glaub, ich hab’s, Jamie. Bist du nich gerade dabei, die Antwort darauf aufzuessen?«
    »Hä?« Verwirrt sah er auf das angeknabberte Törtchen in seiner Hand hinab.
    »Die Marmeladentörtchen. Weißte, die könnte ein Affe ohne Augen im Hinterkopf machen! Womit ich nich sagen will, dass du ein Affe bist, Gott bewahre, nichts liegt mir weiter weg. Aber Marmeladentörtchen und Rosinenkekse kannste mit verbundenen Augen machen, wenn sie dir die Hände auf dem Rücken fesseln. So einfach gehen die.«
    Sie ging zu einem Korkbrett über dem Kühlschrank, das von einer mädchenhaften Statue des heiligen Joshua (des Schutzpatrons ergebnisloser Bemühungen) auf einer Plastikkonsole beschirmt wurde, nahm eine Stecknadel aus einem Rezept für Rosinenkekse, das sie aus einer Cornflakes-Packung ausgeschnitten hatte, und reichte es Jamie.
    »Bitte sehr. Das kannst du behalten, und sieh es dir gut an. Ich bring meim Paddy noch ein bisschen Tee und dann machen wir uns an die Antwort!«
    Sie ließ Jamie in das Rezept vertieft in der Küche zurück. Er fragte sich, wie ihn die gesichtslose Lydia schon vor solche Herausforderungen – Bücher zu lesen und Rezepte auswendig zu lernen – stellen konnte, bevor er sie auch nur getroffen und sich mit ihr unterhalten hatte.
    Das Leben war wirklich merkwürdig. In einer Minute dachte man darüber nach, an einem Dachbalken mit einem Seil alles zum Ende zu bringen und in der nächsten

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