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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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nicht, um es angenehmzu machen, schenke ich ihm diese Jahreszeit. Zu Fuß natürlich, Frondini, kein Geld für ein Pferd, oder das Geld versoffen, das Pferd verkauft, irgendsoetwas. Bauschige Wolke, Roter Milan, Ringeltaube, Specht, Frondini sieht, was ich sehe, hört, was ich höre, ich stelle dafür sogar den Motor ab, denn wie kann ich Frondini sein mit einem Auto? Er besitzt ein salvoconducto von Maria-Theresia, auf Fürsprache des Bischofs von Trier hatte er einen guten Posten in der königlichen Pinakothek, doch dann fuhr ihm der Teufel ins Blut und er ging auf Reisen. Alles, was er sieht, läßt sich zeichnen, angefangen bei dieser bauschigen Wolke. Frage: Ist es möglich, daß sich die gleiche Wolke, mit dem gleichen Volumen, an der gleichen Stelle über den Hang schiebt, wo, hoch über Frondini damals und mir jetzt, genausoviel Schnee an derselben Stelle liegt, nämlich dort, wo der Rote Milan die gleiche unerbittliche Runde dreht, zum Sturzflug ansetzt und mit einem Tier, dessen Form ich (dessen Form er) nicht richtig erkennen kann, zur Seite hin abdreht? Ich schaue nur, aber Frondini sitzt bereits auf einem Stein und skizziert, sein Bleistift fliegt über das Papier, Milan, Wolke, Hang, alles hält er fest, später wird er es ausarbeiten. Er stellt sich keine Fragen über die Wiederholung des Gleichen, er macht diese Wiederholung und läßt sie erstarren, den nicht so recht gelungenen Milan, den zu steil abfallenden Hang, die zu dicht schraffierte Wolke. Was kümmert es ihn, ob dieser bemooste Stein im Río Oca auch damals schon da war, wieviel von ihm abgewaschen ist, ob das Wasser noch immer genauso schnell fließt? Seine Sorgen sind das nicht, es sind meine, und die wollte ich ja gerade loswerden. Seine Sorgen sind, die Bewegung des Wassers hinzukriegen und, noch viel schwieriger, diese eigenartige, glitzernde, sich nicht fangen lassende Durchsichtigkeit, in der das, was sich darunter nicht bewegt, sich doch zu bewegen scheint. Doch nun hört er, wie ich, den Bauern auf dem Hang seiner plötzlich aufgetauchten Herde etwas zuschreien, die von dem kleinen jagenden Hund zu einer handlichen Kugel geformt wird und langsam den Hügel hinunterrollt. Eine Herde wie ein Ball, das bin ich, so etwas kommt Frondininicht in den Sinn, der ist viel zu beschäftigt mit seinem Dilemma: Soll diese Herde, die eben noch nicht da war, nun in der Zeichnung erscheinen oder nicht? Und das, wo er noch nicht einmal das Problem der Falten, Wölbungen, Schatten, Akzente, Lichtverschiebungen an diesem Hang gelöst hat. Nein, so bekomme ich nur Scherereien mit Frondini, ich habe schon genug Probleme mit mir selbst, ich denke mir zwei Banditen aus, ich lasse ihn ausrauben, aber er ist Italiener, wütend, weil er in seiner doch so unwichtigen Kunst gestört wird, zieht er ein Messer, und das hätte er besser lassen sollen. Tot, Frondini, denn sie hatten zwei Messer. Nichts ist bei ihm zu holen, das hätte ich diesen Räubern gleich sagen können. Sie werfen noch schnell einen Blick auf seine unfertige Landschaftsskizze und sehen nun aus wie Kritiker, und natürlich, das sieht ihnen ähnlich, sie werfen die Zeichnung ins Wasser, wo sie tanzend rasch wegtreibt, und lachend und schimpfend verschwinden sie hinter einem Busch.
    Santiago de Peñalba
    Das Kastell von Verín habe ich ausgesucht als letzte Station vor der Grenze. Von meinem Balkon aus kann ich Portugal sehen, flach und fern, leicht bläulich, so vage und verschwommen, daß es mir vorkommt, als könnte ich über den Ozean blicken und weiter, bis zu den Azoren, bis nach Südamerika, diese natürliche Verlängerung Spaniens.
    Welche Ausdehnung, die der Sprache. Täglich wird einem das bewußt gemacht, nicht nur durch die Werke von Schriftstellern wie Cortázar, Márquez, Paz und Borges, sondern auch durch die Zeitungen und das Fernsehen, die immer wieder auf alles eingehen, was die »spanische Familie« betrifft, die Länder, die die Spanier einst entdeckt und beherrscht und mit einem kolonialen Erbe belastet haben, das für einen Teil der dortigen Probleme verantwortlich ist. Es war nicht gerade der liebenswerteste Teil der spanischen Nation, der dorthin auf brach. Was die Konquistadoren im Gepäck hatten, war das Recht des Stärkeren, und aufgrund der Strukturen, die sie dort vorfanden, kam sogleich jenes zweite Ingrediens hinzu: eine Masse zum Unterdrücken. Fügt man ein paar weitere spanische Begriffe hinzu, wie patria chica , religiösenAbsolutismus und Profitgier, so hat

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