Der unausweichliche Tag - Roman
Weltkarte, auf der Europa groß und Afrika klein aussah. Er fand allerlei Schuhe, Kleiderbügel, kaputte Lampenschirme und Taschenlampen. Er wusste, dass diese Dinge keinen Wert besaßen, aber irgendetwas hinderte ihn daran, ein Feuer zu machen und sie hineinzuwerfen. Also ließ er sie einfach in den Zimmern auf dem Boden liegen.
In den Nächten schwitzte er. Am meisten fürchtete er sich davor, den Autoschlüssel wiederzufinden.
Er erklärte Bernadette, doch, doch, er wisse durchaus, dass er fähig sei, jemanden umzubringen. Ein Menschenleben – sein eigenes eingeschlossen – sei für ihn nie besonders kostbar gewesen;jedenfalls nicht, nachdem Serge gestorben war und alles musste anders werden; nicht, nachdem ihm das, was ihm wirklich kostbar war, für immer verwehrt wurde.
In seinen Träumen tötete er Verey. Er wusste nicht, wieso das immer wieder geschah, aber so war es. Er schoss Verey in den Unterleib. Er sah, wie sein grauer Dickdarm aus der Bauchdecke hervorquoll. Dann rollte er die Leiche in eine Decke oder in Serges alten Mantel mit dem S.T.O.-Abzeichen am Revers und packte sie in das Auto. Die Leiche war leicht, fast so leicht wie die eines Jungen.
Aber wenn Aramon aus diesen Träumen erwachte, wusste er immer noch nicht, was er wirklich getan oder nicht getan hatte. Die ersten Worte, die ihm morgens über die Lippen kamen, waren an seine tote Mutter gerichtet: »Hilf mir, Maman, hilf mir …«
Dann rief Madame Besson an.
»Monsieur Lunel«, sagte sie fröhlich, » j’ai des très bonnes nouvelles : Ich habe noch eine andere englische Familie, die gern das Mas besichtigen würde.«
Aramon stand in der Küche. Fünf leere Pastisflaschen schmückten den Tisch. Auf dem Fußboden lagen Stapel alter landwirtschaftlicher Handbücher zwischen Mausefallen, kaputten Angeln, schwarz angelaufenen Pfannen und schmutzigem Geschirr: all der Krempel, den er in seiner panischen Suche nach dem Schlüssel für das Auto, das immer noch in der Scheune stand, aus den Schränken gezerrt hatte. Er starrte das ganze Zeug an, bückte sich und griff mit unsicherer Hand nach einer kaputten Angel. Er hörte, wie der Mistral draußen die Bäume malträtierte.
»Ja?«, zwang er sich zu sagen.
»Würde es Ihnen heute passen?«, fragte Madame Besson. »Die Interessenten sind gerade bei mir im Büro. Ein Monsieur und eine Madame Wilson. Ich könnte sie heute Nachmittag so gegen drei Uhr zum Mas hochfahren.«
Jetzt lief Aramon der Schweiß von Stirn und Nacken hinunter. Es war, als hätte er völlig vergessen, dass er das Mas verkaufen wollte, vergessen, dass noch mehr Fremde kommen und im Haus – und in der Scheune herumschnüffeln könnten. Doch jetzt begriff er, dass auf keinen Fall irgendjemand hierherkommen durfte, bevor er das Auto nicht weggeschafft hatte …
»Monsieur Lunel«, sagte Madame Besson erneut, »sagen Sie mir doch bitte, ob es Ihnen heute passt? Die Wilsons sind hier bei mir …«
»Nein«, sagte Aramon. »Heute nicht. Nein. Ich kann nicht …«
Er hörte Madame Besson ärgerlich schnaufen. Um sie an einem weiteren Terminvorschlag und sich selbst an einer möglichen Zustimmung zu hindern, legte er sich die Angelrute fest über die Schulter – so wie man einem Hund einen Stock in den Nacken drückt, um ihm das Stehenbleiben oder Sitzen beizubringen –, und er stotterte: »Ich hatte Sie schon anrufen wollen, Madame Besson. Um Ihnen zu sagen … es geht mir nicht gut. Ich fürchte, im Augenblick können keine Besichtigungen stattfinden.«
»Oh!«, sagte Madame Besson. »Das tut mir leid für Sie …«
»Ich bin ans Bett gefesselt. Der Arzt hat mir absolute Ruhe verordnet.«
»Oh«, wiederholte Madame Besson, »nun, das ist ja … sehr schade, und ich wünsche Ihnen gute Besserung. Hoffentlich nichts allzu Ernstes?«
»Niemand weiß es«, erwiderte Aramon. »Niemand scheint es zu wissen …«
»Ach«, sagte Madame Besson und fuhr ohne Pause fort: »Ich muss Ihnen allerdings sagen, wenn Ihnen an einem Verkauf gelegen ist, sollten Sie die Wilsons heute kommen lassen – oder spätestens morgen, wenn es Ihnen dann besser geht. Sie müssen nämlich am Freitag nach England zurück, sind aber sehr daran interessiert, das Haus zu sehen. Nach den Bildern und der Beschreibunghaben sie den Eindruck, es sei genau das, wonach sie suchen, und sie suchen jetzt schon über ein Jahr. Außerdem glaube ich nicht, dass der Preis ein Problem für sie darstellt. Wenn Sie also eine Möglichkeit sehen … ich könnte
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