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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dringend gewaschen werden musste, und sie dachte, es werde Veronica vielleicht trösten, wenn sie ihr die Haare wusch, und sie schlug es ihr vorsichtig vor. Doch Veronica rührte sich nicht.
    »Mein Haar ist in Ordnung«, sagte sie. »Vielen Dank.«
    Also zog Kitty sich zurück. Gärtnern ohne Regen , dachte sie, war kein schlechter Titel für ein Buch. Aber sie wusste jetzt, dass es dieses Buch nie geben würde.
     
    Kitty spürte, wie die Hängematte leise hin- und herschwang. Sie blickte zu den Oleanderbüschen hinüber, die durch viele gelbe Blätter verunstaltet waren. Sie sah, dass sie sich bewegten, und dachte: Das neue Unglück in meinem Leben ist wie der Mistral. Nachts flaut er ab, und ich kann im Traum Seidenweber in Mumbai kennenlernen und Windsurfer im Indischen Ozean, aber am Morgen kehrt er zurück. Und daran lässt sich nichts ändern. Der Wind saugt noch das letzte bisschen Nass aus dem armen, verdorrten Garten …
    Es war noch früh. Nicht einmal sieben. Doch im Haus klingelte das Telefon. Sie hielt die Hängematte an, horchte und wartete. In letzter Zeit hatte dieses Klingeln für Kitty etwas von einer wütenden Wildkatze, von einem ausgebrochenen Käfigtier, das nur Verwüstung im Sinn hatte.
    Kitty überlegte, ob sie heute abreisen sollte. Das Packen würde nicht lange dauern. Sie müsste nur in ihrem Atelier einige der Aquarelle zusammenpacken, die die Galerie in Béziers abgelehnt hatte, dabei mit Bedacht die heraussuchen, die sich am besten verkaufen ließen, wenn ihr an ihrem neuen Ziel das Geld ausging. Dann würde sie einen kleinen Koffer mit Kleidung und Schuhen packen. Zwei Fotos dazulegen, eines von Veronica und eines vom Haus. So einfach war das. Und schon heute Abend könnte sie in London oder Paris sein, Pläne für zukünftige Reisen schmieden und sich Veronica in ihrer einsamen Abgeschiedenheit vorstellen, jener veränderten »Normalität«, für die sie sich anscheinend entschieden hatte …
    Jetzt sah sie Veronica in ihrem weißen Baumwollmorgenmantel über den Rasen kommen, in der einen Hand einen Becher mit Tee, die andere als Schirm gegen das helle Licht des Himmels über den Augen. Kitty schlug die Decke zurück, schwang die Beine aus der Hängematte und sprang auf die Erde. Ein aufgeschreckter Spatz flog aus dem Kirschbaum. Kitty stand da und wartete.
    Veronica reichte Kitty den Tee.
    »Er war tatsächlich im Schweizer Haus«, sagte sie. »Sie haben übereinstimmende Fingerabdrücke gefunden. Wir wissen also, dass er an jenem Dienstag um die Mittagszeit noch gelebt hat.«
    »Ja?«, sagte Kitty und blickte auf ihren Tee.
    »Aber das ist alles. Und es bringt uns nicht weiter.«
    Kitty nahm einen Schluck Tee. »Und was ist mit dem Mas Lunel?«, fragte sie. »Hat die Polizei die Einwickelfolie untersucht, die ich gefunden habe?«
    »Nein«, sagte Veronica. »Ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Zellophanpapier gemacht habe. Vielleicht habe ich es weggeworfen.«
    Kitty schaute ihre geliebte Freundin an. Sie dachte: Ich kann ihr nicht mehr nützen. Sie hört nicht mehr auf das, was ich sage.
     
    Sie standen beide schweigend da, während die Sonne langsam über den Dachfirst stieg und einen blauschwarzen Star beschien, der auf den Schornstein einhackte, und dann sagte Kitty: »Ich halte es für das Beste … wenn ich fortgehe.«
    Veronica hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Jetzt schien sie die Muskeln anzuspannen, sie zog den weißen Morgenmantel fester um sich und umfasste ihre Arme mit ihren großen, kräftigen Händen. Sie senkte den Kopf.
    Kitty wartete, aber Veronica sagte nichts.
    »Ich habe überlegt, wohin«, sagte Kitty. »Aber wahrscheinlich ist das auch egal. Die Welt ist riesig, und ich habe noch nicht viel von ihr gesehen. Nur Norfolk und London. Da wird es wohl allmählich Zeit, dass ich …«
    »Es geht nicht anders«, sagte Veronica und schnitt Kitty das Wort ab. »Natürlich ist es dir gegenüber nicht fair , wie ich mich verhalte. Aber ich kann nicht anders. Wir haben eben jede unsere Vergangenheit.«
    Kitty hätte gern gesagt: Ja klar, wir haben beide unsere Geschichte. Aber wir könnten sie hinter uns lassen – so wie ich es getan habe. Wir könnten uns vorwärtsbewegen und frei sein.
    Aber Veronica redete weiter und sah dabei nicht Kitty an, sondern auf den Boden und auf die herabgefallenen Kirschblätter. »Manchmal verbrachten wir die Schulferien bei unseren Verwandten in Sussex. Sie hatten einen großen Garten, und die Kinder dort kannten jede

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