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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Volkskontrolleur entfernt
    „Gib mir noch Diesel!“, ertönte die grobe Stimme eines der beiden.
    Man hörte, wie Flüssigkeit in einen Metalleimer lief. Dann hob einer den Eimer und goss Dieselöl in die Tonne. Im selben Augenblick schossen Funken und Flammen auf und verjagten die Dunkelheit für kurze Zeit. In diesem Aufflammen musterte Dobrynin einen der Männer ein wenig: Es war ein kräftiger, stämmiger, fast quadratischer Mann in einer Lederjacke, mit einem breiten, unrasierten Gesicht und einem Schnauzbart, der sich wie eine Bürste sträubte.
    „Wer ist das?“, fragte Dobrynin flüsternd.
    „Ich hab dir gesagt, du sollst Flugbenzin abzweigen!“, drang da von den Tannen her die grobe Stimme dazwischen. „Was jetzt, sollen wir bis morgen früh hier herumstehen?“
    „Schufte!“, antwortete Woltschanow, immer noch flüsternd. „Der Kremlpoet Bemjan und sein Spießgeselle, Kommandant Smalzew …“
    „Was machen sie denn da?“, erkundigte sich Dobrynin. „Wärmen sie sich auf?“
    „Ach“, seufzte der Unterleutnant laut. „Verurteilte Frauen verbrennen sie … Vielleicht auch nicht Verurteilte, es kontrolliert sie doch keiner, die Hunde!“
    „Wie das, Frauen?!“ Zum wiederholten Male an diesem Tag war Dobrynin vollkommen verwirrt.
    „Einfach so …“
    „Lebend etwa?“
    „Nein, zuerst werden sie erschossen …“
    „Was ist los?“, drang aufs Neue von den Tannen die grobe Männerstimme herüber.
    „Wir müssen noch Diesel holen!“, antwortete die zweite, heisere und ältere Stimme.
    „Na, dann geh!“, brummte die erste.
    Dobrynin spürte, wie etwas in seinem Bauch ekelhaft zu brodeln begann und ihm eine widerliche Bitterkeit auf die Zunge lief. Er verschloss sich den Mund mit der flachen rechten Hand und trat einen Schritt zurück.
    „Was hast du?“, fragte Woltschanow.
    Dobrynin stöhnte etwas.
    „Sollen wir gehen?“, fragte Woltschanow flüsternd.
    Der Kontrolleur nickte.
    Am Erlösertor stand ein Gasik-Jeep in der Ausfahrt. Mit dem Rücken an die verschlossene Tür gelehnt, stand der Fahrersoldat da und rauchte.
    „Bist du im Dienst?“, fragte Woltschanow ihn streng.
    „Jawohl!“, stieß der Soldat hervor und warf die Papirossa vor sich auf den Boden.
    „Fahren wir!“, kommandierte der Unterleutnant. „Steig ein!“, sagte er, schon zu Dobrynin gewandt.
    Sie nahmen Platz und fuhren los.
    „Morgen kommst du um acht-null-null hier her! Ver­standen?“, befahl Woltschanow dem Fahrer vor Dobrynins Haus.
    Der salutierte und fuhr davon.
    In Dobrynins Bauch herrschte wieder Frieden, und sogar der Wein war ein wenig aus seinem Kopf verflogen.
    Sie stiegen in den zweiten Stock hinauf, Dobrynin klingelte.
    Marija Ignatjewna öffnete ihnen.
    Sie zogen die Mäntel aus und traten ein.
    Dobrynin war ein wenig verstimmt, als er bemerkte, dass seine dienstliche Ehefrau Timofej wie einen alten Bekannten begrüßte.
    „Er schläft schon!“, warnte sie vor der Tür zum Schlafzimmer. „Leise!“
    Sie gingen hinein. Marija Ignatjewna knipste eine Stehlampe an, die ein sanftes Licht ausstrahlte. Und alle drei beugten sich über die hölzerne Wiege, in der friedlich das kleine, noch ganz und gar winzige Bürschchen schlief.
    „Wie alt ist er?“, fragte Woltschanow flüsternd, und eine ungewöhnliche Güte leuchtete in seinen Augen.
    „Fünfeinhalb Monate“, antwortete die Hausherrin.
    „Schau, das Haar kringelt sich schon!“, flüsterte der Unterleutnant begeistert.
    Dobrynin blickte, von Timofejs Begeisterung angeregt, gleichfalls auf die Härchen. Tatsächlich, wenn auch diese Härchen etwas dünn und spärlich waren, lockten sie sich schon und kringelten sich, als wäre es ein Mädchen, kein Junge.
    „Was für eine Farbe haben denn die Augen?“, fragte Woltschanow.
    „Grün“, flüsterte die glückliche Mutter.
    „Ich beneide euch!“, flüsterte Timofej aufs Neue begeistert, wobei er zuerst Marija Ignatjewna und dann Dobrynin ansah. „Hauptsache, ihr lasst es nicht bei dem einen bewenden. Wer soll denn sonst in unserem dann erbauten Sozialismus leben?“
    Marija Ignatjewna nickte verlegen. Pawel schwieg.
    „Wollt ihr essen?“, fragte die Hausherrin die Männer.
    „Nein, richtet mir lieber schon mein Bett“, bat Woltschanow. „Ich habe lange nicht mehr gemütlich in einer Familie übernachtet. Bei euch hier ist alles so häuslich.“
    Sie richteten Timofej das Sofa im Wohnzimmer her. Er zog sich militärisch-schnell aus und legte sich umgehend hin.

    Um sechs Uhr

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