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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Urluchow aus dem ZK anrufen und Mark die Entscheidung bekannt geben, wohin sie fahren sollten. Wie schwer es ihm doch fiel, im Herbst auf Tournee zu gehen!
    Vielleicht würden ihnen die Papiere, die der Arzt in der Zentralen Tierklinik geschrieben hatte und in denen ihrer beider, Kusmas und Marks, Gesundheit, geschildert wurde, vielleicht würden diese Papiere, die nun bei Urluchow lagen, ihnen das Leben in der nächsten Zeit erleichtern?
    Mark träumte ein wenig. Es war ein einfacher, aber doch zu vorkriegshafter Traum.
    Er wäre gern auf die Krim gereist, ins Sanatorium „Ukraina“, wo schneeweiße Statuen von Werktätigen die Fassaden das Verwaltungsgebäudes zierten. Wie schön war es doch dort!
    Urluchow rief am nächsten Tag nachmittags an.
    „Wie geht es Ihnen, Genosse Künstler?“, fragte er.
    Mark hätte sich sehr gern beklagt, doch eigentlich ging es ihm ja nicht schlecht.
    „Wissen Sie, Genosse Urluchow, das, was Sie uns geschickt haben, ist schon aus. Seit gestern leben wir nur von Tee … Ohne Zucker …“
    „Es ist Krieg, Genosse Iwanow, es ist eben Krieg!“, antwortete der Chef. „Satt ist zur Zeit niemand, und wird noch auf lange Zeit keiner sein!“
    „Aber Kusma muss wieder zu Kräften kommen, Genosse Urluchow! Zwei Strophen schafft er gerade, danach ist er ganz außer Atem … Wenn er irgendwelche Graupen bekommen könnte … Genosse Urluchow!“
    „Ihr hattet doch noch ein Kilo Hirse vor zwei Tagen!“, entgegnete Genosse Urluchow verwundert.
    „Ich habe es aufgegessen …“, gestand Mark leise und sah kläglich den Telefonhörer an.
    „Was flüstern Sie da? Was ist mit den Graupen?“
    „Ich habe sie aufgegessen!“, sagte Mark ein wenig lauter und hielt den Hörer zugleich ein Stück von sich fort.
    „Sie sollten sich schämen, Genosse Künstler. Dem kranken Vogel essen Sie das Futter weg, nach all den Jahren, in denen Sie zusammen aufgetreten sind!“
    Mark schämte sich wirklich. Er sah zu Kusma hinüber, doch der saß auf der Kuppel des Käfigs oben, rührte sich nicht und schwieg.
    „Genosse Urluchow“, flehte Mark. „Ein letztes Mal noch … Lassen Sie ihm etwas bringen, ich schwöre, ich esse kein einziges Körnchen mehr …“
    „Na gut. Schwören Sie nicht!“ Urluchow am anderen Ende der Leitung seufzte schwer. „Warum habe ich Sie eigentlich angerufen? – Ach ja, ich wollte Ihnen Bescheid sagen. Sie ruhen sich noch eine Woche aus, dann geht es los in den Ural! Dort treten Sie in Fabriken während der Schicht­pausen auf. Die Leute arbeiten in Sechzehn-Stunden-Schichten, verstehen Sie?“
    Mark nickte stumm.

Kapitel 15
    Seit einer Woche bereits schneite es im Neuen Gelobten Land, Schnee rieselte ununterbrochen in gewaltigen Flocken vom Himmel und deckte alles zu; und wäre selbst einer auf die Dächer der von Menschen bewohnten Kuhställe geklettert, dann wäre er auch dort bis an die Knie im Schnee versunken. Die Menschen saßen an den Öfen, wärmten sich und warteten einfach das Ende des Winters ab, der eben erst begonnen hatte. Alles war für diesen Winter bereit, für das Vieh gab es Futter, für die Menschen Essen und Brennholz. Und deshalb herrschte zufriedene Ruhe im Neuen Gelobten Land.
    Die Frauen saßen auf ihren Schlafbänken und legten die Säuglinge an die Brust. Manche der Männer spielten das Steinchenspiel mit Kopfnuss, andere spielten Karten, die dritten tranken in aller Stille ihren Selbstgebrannten und kauten Brot und Fleisch dazu, das sie sich vom Frühstückstisch abgezweigt hatten.
    Die Kinder, jene, die schon größer waren, schauten aus den Fenstern, die man im späten Herbst in die Wände des Kuhstalls geschnitten hatte. Das Glas, das sie im Austausch gegen Rauchfleisch aus der nahen Kolchose geholt hatten, war recht trüb, aber die Jungen und Mädchen schauten trotzdem gern dort hindurch nach draußen.
    Im Hauptkuhstall hatten sich in der Nähe des Ausgangs der Brigadier und zwei weitere Männer eingerichtet. Aus lauter Langeweile und auch um etwas Gutes zu tun, fertigten sie Rodelschlitten an, klopften mit Hämmern und quietschten mit Hobeln an einer langen, grob zusammengezimmerten Werkbank.
    Eine Frau, die in ein dickes wollenes Kopftuch gehüllt war, schaute in den Kuhstall herein und rief: „Glascha! Bist du hier?“
    „Mach die Tür zu!“, brüllte der Brigadier sie an, der den Kopf von der Werkbank gehoben hatte. „Entweder kommst du rein, oder raus!“
    Die Frau trat erschrocken ein und schlug die Tür hinter sich

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