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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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hohlen Stimmen.
    »Ja, wo sollen wir schlafen?«
    Die Klagen wurden lauter, jammernd. Die Rufe vervielfachten sich.
    »Was ist mit meinem Baby?«
    »Mit meiner Mutter!«
    »Es ist schwach …«
    »Sie ist alt …«
    Emerald spürte die Dringlichkeit ihrer Erschöpfung, das heftige Zerren des großen Vergessens, das sie alle im Griff hatte.
    »Kommt mit, schnell«, sagte sie. Und sie, Patience, Charlotte und John verließen das alte Haus mit dem Versprechen, zurückzukommen.
    Im Laufschritt hasteten sie durch das neue Haus, um die Schlafzimmer zu plündern, erleichtert darüber, die Passagiere hinter sich gelassen zu haben. John folgte ihnen nur unwillig.
    Emerald stieß die Schlafzimmertüren auf.
    »Mein schönes Leinen!«, rief Charlotte, aber selbst sie war jetzt von dem Bedürfnis ergriffen, zu helfen, und ihre Proteste waren nur schwach. »Zieht alle Betten ab«, kommandierte sie mit eiserner Stimme.
    Sie wussten, dass im Wäscheschrank weitere Beute zu finden war. Sie wussten, wo er stand – auf dem oberen Treppenabsatz. Mrs Trieves hatte die Schlüssel dafür. Sie waren schon oft an dem Schrank vorbeigegangen, aber der Inhalt – die geheimnisvollen Borde, in Schönschrift beschriftet (und alles auf ihnen weiß!) – war für sie ein fremdes Land, das sie nicht betreten konnten.
    »John, holen Sie Mrs Trieves«, sagte Emerald. »Wir nehmen uns die Schlafzimmer vor.«
    John war perplex. Er wollte nicht mit Mrs Trieves sprechen, die er nun zutiefst verabscheute, konnte sich aber nicht gut weigern. Also stapfte er verdrossen die Treppe hinunter und blieb zögernd vor ihrer Tür stehen.
    Der Geruch nach Holzrauch von dem riesigen Feuer in der großen Halle driftete durch den Flur zu ihm. Seine weißen Handschuhe steckten zusammengeknüllt und sicher vor der Schinderei des Abends, vor Maschinenöl und vor Holzscheiten in seinen Taschen. Er hob die schmerzende, bloße Hand, um zu klopfen.
    (»Sie werden gebraucht; die Passagiere benötigen Bettzeug«, übte er.)
    Er wollte sie nicht sehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Mrs Trieves, die Hauswirtschafterin, dieselbe Person sein sollte, die Charlie Traversham-Beechers so eloquent beschrieben hatte, die Person, die sich ungeniert in Bloomsbury herumgetrieben hatte. Was für unzüchtige Geheimnisse verbarg sie unter ihrem schwarzen Kleid? Welche Freuden des Fleisches hatte sie während ihrer lasziven, lüsternen Vergangenheit genossen, geschehen lassen oder herbeigeführt?
    Die Überlebenden sangen schon wieder.
    Ihre Stimmen drangen aus der großen Halle zu ihm, erhoben sich hoffnungsvoll und aufgeregt, behaglich und vergnügt …
    What could be nicer than this?
    A nice old cuddle and kiss?
    Nein, es war überhaupt nicht nett, was er sich da vorstellte. Was Florence gewesen war, was alle Männer wollten und einige sogar kauften, von Frauen wie …
    All beneath the pale moonlight,
    Oh, what a luverly night tonight …
    Er klopfte und öffnete die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten. Florence stieß einen Schrei aus und fuhr zu ihm herum. Sie war dabei, sich zu waschen. Ihre Haare waren lang – länger – sehr lang und fielen verschwenderisch – man konnte es nicht anders beschreiben – über ihre weißen Schultern und ihren schmalen Brustkorb.
    »Oh!«, machte er.
    Sie trug nur ihre schwarzen, fest geschnürten Stiefel und hielt das abgelegte Kleid schützend vor sich. Sie war vom Waschstand in der Ecke herumgefahren, wo sie sich mit Wasser und einem großen Stück Kernseife gewaschen hatte, das sie nun vor lauter Schreck auf den Boden fallen ließ, wo es mit einem lauten Plumpsen aufschlug.
    Das Haus war erfüllt von einer seltsamen Magie, überall herrschte Chaos, und diese … diese Frau wusch sich in aller Seelenruhe.
    In jener abgelegenen nächtlichen Einöde trieben Handlungen herum wie Pusteblumensamen im fernen Raum. Verließ John das Zimmer auf der Stelle mit niedergeschlagenen Augen? Das tat er nicht. Er blieb, wie es so schön heißt, wie angewurzelt stehen, wie ein glotzender Tannenbaum.
    Sie fasste sich schneller als er und sagte in einem Ton, der an Empörung grenzte: »Was soll das heißen: ›Oh‹? Sind Sie jetzt etwa schockiert?«
    Verwundert über ihre Attacke, antwortete er barsch: »Schockiert über Sie!«
    »Weil ich mich wasche?« Völlig uneingeschüchtert erwiderte sie, seinen Blick herausfordernd, anscheinend kein bisschen beschämt über die Tatsache, dass der ganze Haushalt nun über ihre schändliche Vergangenheit Bescheid

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