Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
damit, dass sie einander gegenüber an einem Tisch saßen und auf Regen und Wellen hinausschauten. Und auf den bleigrauen Meereshimmel, der sich wie eine schwere Kuppel über der windgebeutelten, kargen Küstenlandschaft wölbte. Jess wollte die ganze Zeit ihre Finger mit seinen verschränken, selbst beim Essen, und wie Ulrike Fremdli schien sie begriffen zu haben, dass er jetzt keine Worte brauchte. Dass es hier nicht um sie beide ging. Sondern um Erich und darum, ihn bei sich zu behalten.
»Hast du ihn gesehen«, erkundigte sie sich schließlich.
Doch, er war am Sonntag in der Gerichtsmedizin gewesen. Er fand, dass auch Jess diesen Besuch machen sollte. Falls sie das wollte. Vielleicht am folgenden Tag, er werde sie gern begleiten.
Sie fragte auch nach dem Mörder, und er antwortete, dass er nicht wisse, wer es getan habe.
Warum?
Auch das wusste er nicht.
Um halb sechs verließen sie Egerstadt, und fünfundvierzig Minuten später setzte er Jess vor Renates Haus im Maalerweg ab, wo sie bis auf weiteres logieren würde. Renate kam heraus und
fiel ihrer Tochter auf der Treppe schluchzend um den Hals, während Van Veeteren sich damit begnügte, die Taschen vom Rücksitz zu nehmen und für den folgenden Tag ein Treffen zu dritt zu vereinbaren. Vormittags vielleicht, um Erich zu sehen, wie gesagt, Renate hatte es noch nicht über sich gebracht.
Als er nach Hause kam, lag auf dem Küchentisch eine Mitteilung von Ulrike. Sie schrieb, dass sie ihn liebe und dass sie gegen neun zurück sein werde. Er braute sich einen Glühwein und ließ sich im dunklen Wohnzimmer nieder. Legte eine CD von Penderecki ein, schaltete sie aber bald darauf wieder aus.
Keine Wörter, dachte er, und auch keine Musik. Erich ist tot. Schweigen.
Nach einer Dreiviertelstunde rief Reinhart an.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Was glaubst du wohl?«, erwiderte Van Veeteren.
»Bist du allein?«
»Nur im Moment.«
Sie schwiegen einen Augenblick, während Reinhart nach Worten suchte.
»Möchtest du darüber sprechen? Wir könnten uns morgen treffen.«
»Vielleicht«, sagte Van Veeteren. »Wenn ja, rufe ich dich an. Wisst ihr, wer es war?«
»Wir haben keine Ahnung«, sagte Reinhart.
»Ich will, dass ihr ihn findet«, sagte Van Veeteren.
»Wir werden ihn finden ... aber da ist noch etwas.«
»Noch etwas?«, fragte Van Veeteren.
»Marlene Frey. Seine Freundin. Kennst du sie?«
»Nur vom Telefon.«
»Sie möchte, dass du dich bei ihr meldest«, sagte Reinhart.
»Das werde ich tun«, sagte Van Veeteren. »Natürlich. Tust du mir einen Gefallen?«
»Ja, was denn?«, fragte Reinhart.
Van Veeteren zögerte zwei Sekunden.
»Wenn ihr ihn habt ... wenn ihr den Täter erwischt habt, meine ich ... dann möchte ich ihn treffen.«
»Warum denn?«, fragte Reinhart.
»Darum. Wenn ich es mir anders überlege, sage ich Bescheid.«
»All right«, sagte Reinhart. »Natürlich. Du wirst ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, das verspreche ich dir.«
»Je eher, desto besser«, sagte Van Veeteren.
»Ich werde mir alle Mühe geben.«
»Danke, ich verlasse mich auf dich«, sagte Van Veeteren.
10
»Ich scheiße darauf, was ihr sonst noch zu tun habt«, sagte Reinhart. »Ich scheiße darauf, dass ihr vielleicht pro Woche dreihundert Überstunden machen müsst. Es ist mir absolut schnurz, was ihr sagt und findet und denkt, das hier hat höchste Priorität! Der Sohn des Kommissars ist ermordet worden, und wenn der Innenminister erschossen und der Papst vergewaltigt wird, dann müssen sie eben warten, bis wir diesen Fall geklärt haben. Ist das klar? Habt ihr kapiert? Hat irgendjemand noch Einwände? Wenn ja, dann werden Anträge auf Versetzung gerne entgegengenommen. Scheiße auch ... off the record, verstanden?«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Rooth.
Das waren die anderen vermutlich auch. Jedenfalls gab es keinen Widerspruch. Es war bereits eng um den Schreibtisch, Reinhart hatte noch vier zusätzliche Stühle in sein Büro quetschen müssen; im Polizeigebäude gab es zwar größere Räume, aber keinen, in dem er ebenso ungeniert rauchen konnte wie hier, und seit der Geburt seiner Tochter hatte er seiner Frau versprechen müssen, seinem Tabakkonsum außerhalb des Hauses nachzugehen.
Sieben Leute im Fahndungsteam also. Inspektorin Moreno, die Inspektoren Rooth und Jung. Polizeianwärter Krause, ebenso jung und ebenso viel versprechend wie gewöhnlich. Kommissar deBries und ein frisch erworbener Kriminalassistent
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